Zwei Schwestern auf dem Jakobsweg

 

 

 

 

Es ist wunderschönes Wetter draußen, aber ich sitze hier drinnen und schufte mal wieder an meinem Schreibtisch. Schon vor ungefähr zwei Stunden hatte ich eigentlich aufbrechen und die Wochenend-Einkäufe erledigen wollen. – Kaum ein paar Tage zurück von meiner Reise aus Spanien stellte ich fest, dass mich die alte Tretmühle wieder in ihren Klauen hatte.

 

 

 

Voller Wehmut dachte ich plötzlich an die riesigen Weizenfelder, deren Ähren sich wie Wellen im Wind bewegt hatten. An das Leuchten der Mohn- und Kornfeldblumen, an den Duft der Ginsterhecken, an lautes Vogelgezwitscher, das neben dieser sanfter Stille stets unseren Weg auf dem Camino begleitet hatte.

 

 

 

Meine Vorfahren mütterlicherseits, sind Korbflechter, sogenannte „Woidler“(übersetzt „Waldmenschen“) gewesen, die vom Verkauf der Korbwaren und den im Wald gesammelten Beeren und Pilzen gelebt haben. Manchmal glaube ich, dass in meinen Genen noch etwas von diesem Lebensgefühl zurückgeblieben ist. Ich erinnere mich, dass es in meiner Kindheit für mich immer das Schönste gewesen ist, mich draußen in unserem großen Garten oder den umliegenden Feldern aufzuhalten, um Blumen zu pflücken, mit meinem Hund spazieren zu gehen oder gar, um irgendwo Tarzan oder Robin Hood zu spielen. Wenn die Herbststürme dann kamen, bin ich oft auf einen unserer hohen Apfelbäume geklettert und träumte davon, wie in dem Buch „Der fliegende Robert“, mit dem Wind durch die Luft davon zu fliegen.

 

 

 

Ein Blick auf meine beiden großen schwarzen Zehennägel und meine Fußsohlen, die bei genauerem Hinsehen, immer noch Schatten einstiger Blasen aufweisen, holen mich zurück in die Realität.

 

 

 

Ursprünglich hatten meine Schwester Angi und ich ja nur mal ein paar Tage miteinander wandern wollen. Während mein Mann ein ziemlich unbrauchbares krankes Bein mit sich herumschleppt, das von einem schweren Motorradunfall in seiner Jugend herrührt, ist Angis Mann zwar weitaus sportlicher, jedoch plagt ihn die Höhenangst. Deswegen kam meine Schwester eines Tages mit der Idee an, auf dem Jacobsweg in Spanien zu wandern. Ein Mitschüler aus ihrem Spanischkurs hätte ihr davon vorgeschwärmt. Ich besorgte mir also die Hör-CD „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkerling, um mich mental und überhaupt ein wenig auf die Reise vorzubereiten. Das Hörbild war total witzig und ich dachte mir, so wie der übertreibt, so schlimm kann es doch gar nicht sein. Also sagte ich meiner Schwester nach einigem Zögern zu. Jedoch bestand ich darauf, nicht in den von Kerkerling als so schrecklich schmutzig beschriebenen Herbergen zu übernachten, sondern in einer anständigen Unterkunft. Bereits als meine Schwester mir vorsichtig zu verstehen gab, dass ich meinen Rucksack während der gesamten Wanderung auf meinem Rücken transportieren müsste, kamen mir die ersten Zweifel, ob meine Entscheidung, mitzugehen, richtig war. Conny, die Gelegenheits-Sportlerin, jeden Tag 20 km wandern und dann auch noch die ganze Zeit den schweren Rucksack schleppen. Das würde ja ein schöner Survival-Trip werden! Meine erste Euphorie legte sich deutlich. Nachdem meine Schwester mich jedoch für Paris Hilton aus Hohen-kammer hielt, was täglich existentiellen Bedürfnisse betraf, war kneifen auf gar keinen Fall angesagt. Und noch etwas machte mir schon ein wenig Angst: Wir beide hatten es bisher noch nie länger als drei Tage zusammen unter einem Dach ausgehalten. Wie sollten wir da mehr als eine gemeinsame Woche zusammen ertragen, ohne uns dabei die Köpfe einzuschlagen? Dieser Ausflug war ein riskantes Unternehmen, das ziemlich in die Hose gehen konnte. Nachdem wir seit Jahrzehnten kilometermäßig und auch mental weit voneinander entfernt waren, hatten wir uns ziemlich entfremdet. Es gab deshalb nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir würden nach dem Trip kein einziges Wort mehr miteinander reden, was nahe lag oder genau das Gegenteil würde passieren. – Spannend ...

 

 

 

1. Tag: Pamplona nach Uterga (ca. 16 km)

 

 

 

Nachdem wir gestern Abend mit dem letzten Bus aus Bilbao in Pamplona angekommen waren, die Fahrt dorthin zweieinhalb Stunden gedauert hatte und wir außerdem schwer bepackt mit unseren Rucksäcken anschließend zu Fuß unser Hotel suchen mussten, ist

 

unsere Nacht heute kurz gewesen. Um sieben Uhr klingelt der Wecker, anschließendes Frühstück in unserem Hotel und dann stürzen wir uns in das Abenteuer.

 

 

 

Angi und ich werfen einen kurzen Blick auf den kleinen Stadtplan, den die Dame vom Empfang uns gestern Abend ausgehändigt hat. Über die Calle Major soll es auf den Jacobsweg raus aus der Stadt gehen. Die kennen wir, die sind wir gestern Abend schon mal lang gegangen. Frohen Mutes, auch wenn der Rucksack jetzt schon drückt, machen wir uns auf den Weg. Wo war nur diese verdammte Zitadelle! Auf unserem Plan, hatten wir sie doch schon gesehen. Doch hier, kein Park oder ein Schild in Sicht.

 

Nach etwa einer halben Stunde kommt uns die glorreiche Idee, wir könnten doch jemanden nach dem Weg fragen. Der Herr, der wie die meisten Leute hier, wie wir später noch feststellen sollten, nur spanisch spricht, erklärt uns mit Händen und Füßen, dass wir uns zwar auf der Calle Major befänden, die Zitadelle jedoch in genau entgegengesetzter Richtung sei.

 

Angi wird nervös. Wie sollen wir den Zeitplan für unsere erste Etappe, die sie geplant hat, nur einhalten? Wir fragen nach einer Möglichkeit, ob wir den Weg zurück mit dem Bus fahren können. Ja, der fahre alle 10 Minuten.

 

Es ist sehr heiß an diesem Tag. Ich schätze mal so an die 35 Grad. Wir fahren also mit dem Bus zurück zum Ausgangspunkt unseres bisherigen Ausfluges. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein Sportgeschäft, und da ich zuhause meine Regenjacke vergessen habe, mache ich einen Abstecher hinein. Die Jacken kosten ein Schweinegeld, das ich nicht aus-zugeben bereit bin. Angi schlägt vor, dass ich mir ein Regencape für sechs Euro kaufen soll. Das würde für’s erste reichen und sie hätte auch so eine Ganzkörperverkleidung dabei. Noch bevor ich an der Kasse bin, ist Angi verschwunden. Ich zahle also, gehe raus auf die Straße und bin gerade damit beschäftigt, meine außen am Rucksack befestigten Ersatz-Schuhe fest zu zurren, als ich meine Schwester mit den Händen winken sehe. Sie deutet mir, dass ich schnell zu ihr kommen soll. Nachdem es nun schon gegen 10:30 Uhr ist und wir uns immer noch kein Stück auf dem Jacobsweg befinden, haben wir beschlossen, wieder mit dem Bus zu fahren, um die Stadt zu verlassen. Bei Angi steht eine elegant gekleidete Spanierin, die uns anscheinend höchstpersönlich zu der entsprechenden Bushaltestelle bringen will. Wir

 

folgen ihr und bedankten uns artig, stellen jedoch auf dem Busfahrplan fest, dass der nächste Bus erst in ca. zwei Stunden von hier losfährt. Das würden wir in der Zeit auch zu Fuß schaffen. Wir zerren also wieder unseren Stadtplan heraus und versuchen unser Glück. Und siehe da, wir finden die Zitadelle und schließlich sehen wir die erste, gelb-blaue Jacobs-muschel auf dem Gehweg. Inzwischen ist es mindestens 11 Uhr und Angi ist gar nicht glücklich, dass es schon so spät ist. Ein gut gekleideter älterer Herr gesellt sich während

 

des Laufens zu uns und enttarnt uns sogleich als Jacobspilger, was unschwer zu erkennen ist. Unsere beiden Rucksäcke sind zum Bersten voll. Da passt keine Kamm mehr dazwischen. Außer meiner Jacobsmuschel aus dem Pilgerbüro in Deutschland baumeln meine Ersatzschuhe außen an meinem Rucksack und an Angis zwei blaue Plastikbecher. Meine Schwester trägt zu ihrer kleinen Umhängetasche, in der sie ihre Wertgegenstände aufbewahrt, eine dunkelblaue Plastiktüte vom Kaufhaus Kraus in ihrer Hand. Nachdem in unsere Rucksäcke nichts mehr hineinpasst, dient sie uns als Brotzeittasche. Wir wechseln ein paar Worte mit dem Mann und er wünscht uns einen buen Camino. Da kommt auch schon der nächste Passant , der uns als Pilger entlarft und anspricht. Und so verbringen wir einige Zeit damit, allen möglichen Leuten - besonders älteren Herren - Auskunft über unsere Nationalität und das Ziel unserer Pilgerreise zu geben, bevor es uns gelingt, Pamplona zu verlassen.

 

 

 

Unser Etappenziel Puente la Reina scheint in weiter Ferne. Als wir die erste kleinere Ortschaft erreichen ist es bereits Mittag und die Sonne brennt erbarmungslos auf uns herab. Das Gewicht des Rucksackes drückt auf meinen Schultern, als hätte mir jemand Wackersteine anstelle der Klamotten hinein geschmuggelt. Mein T-Shirt klebt an meinem Körper, der Durst plagt uns und die erste kleinere Pause scheint unausweichlich. Ich mische einen ISO-Drink und stopfe mir einen von zuhause mitgebrachten Müsliriegel rein. Zu essen gibt’s hier weit und breit eher nichts, und mit Pipimachen im Gebüsch ist auch nichts los; hier ist nämlich keines. In flirrender Hitze ziehen wir weiter, einen kleinen Feldweg entlang. - Mit dem Jacobsweg ist es wie in der Fahrschule: Wenn keine Zeichen zu sehen sind, immer geradeaus.  Angis Blase hat bald gar kein Verständnis mehr für die überschaubaren Wege und meine Schwester rennt plötzlich im Galopp in die nächstbeste Wiese und setzt sich ins tiefe Gras, um sich zu erleichtern. Anschließend beginnt unsere Mördertour. Auf holprigem Untergrund, bei null Schatten, liegt der steinige Aufstieg zum Berg der Windräder vor uns. Einige Zeit geht ein älterer Mann mit riesigem Regenschirm vor uns her. Das sieht ziemlich lustig aus bei dem Wetter, und wir müssen zuerst lachen. Doch nach einiger Zeit begreife ich: Der Stockschirm ist genial! Bei Regen und Sonne kann man ihn zum Schutz und sonst als Wanderstock benutzen. Leider haben wir beide so etwas Praktisches nicht dabei! Der rote Planet kennt keine Gnade. Weit und breit kein Schatten und die Getränke werden langsam knapp. Ich denke an Hape Kerkerlings Worte „hör auf deine innere Stimme“. Meine sagt mir im Moment, dass ich mit Marathon-Angis Tempo nicht mithalten kann und mit meinen angegriffenen Kräften haushalten muss, um bei dieser Hitze und mit dem Gewicht auf dem Rücken jemals die nächste Ortschaft lebendig zu erreichen. Daher beschließen wir beide, ich und meine innere Stimme, einen, vielleicht sind es auch zwei Gänge, herunterzufahren. Angi ist außer Sichtweite. Ich komme mir vor wie ein Trabi auf der A9; alle überholen mich. Ein Stück weiter oben wartet meine Schwester und schlägt vor, dass sie schon mal vorgehe, um uns eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen, da es schon so spät ist. Ich willige ein und wir vereinbaren, uns in der einzigen Pilgerherberge im nächsten Ort, in Uterga zu treffen - falls ich jemals lebendig dort ankommen sollte ....

 

 

 

Ich habe Angi längst aus den Augen verloren, und auch sonst treffe ich lange Zeit keine Pilger mehr. Ich glaube, sie sind entweder bereits angekommen oder tot, per Hitzschlag! Nur ich und mein Rucksack sind noch unterwegs. Meine Mütze, die lt. Sportgeschäft angeblich Ozon-strahlung und Nässe abhält, und mein Kopf darunter scheinen zu kochen. Das Schweiß rinnt

 

wie in Sturzbächen an mir herab. Mein Trinkwasser ist längst leer und die nächste Ortschaft nicht mal in Sicht. Ich frage mich ernsthaft, wenn das der erste Tag ist, wie wird dann unser nächster werden? Wie war noch mal der Name dieser Herberge? Keine Ahnung. Ich glaube, die Sonne hat mein Gehirn verbrannt. Irgendwas mit Hauptstraße auf spanisch. Irgendwas mit einem Major. Ach ja, Calle Major oder so ähnlich. Schauen wir mal. Meinen Reiseführer mit Routenführung habe ich leider zuhause vergessen. Dafür habe ich einen von der Alternativ-Route dabei; den haben mir meine lieben Nachbarn zum Geburtstag geschenkt. Er ist vom selben Verlag und sieht fast genauso aus. Nur steht halt was anderes drin und ich Idiot habe am Morgen unserer Abreise halt den falschen eingepackt.

 

Während ich beim Abstieg, erschöpft und mit schwerem Gepäck höllisch aufpassen muss,

 

nicht auszurutschen oder umzuknicken überlege ich, ob ich heute wohl noch ankommen werde. Ich pfeife ein wenig vor mich hin und schaffe es tatsächlich, wohlbehalten unten anzukommen.

 

Das Dorf ist immer noch nicht in Aussicht. Dafür sehe ich ein kleines Bächlein, an dem wohl

 

schon mehrere Pilger gerastet haben. Im Gras sind noch Reste von Marmelade oder etwas Ähnlichem und sonstige kleine Abfälle zu sehen. Ich überlege ernsthaft, ob ich Wasser aus dem Bach in meine Flasche fülle und mich sinnlos vollaufen lasse. Aber wer weiß, ob ich dann zu meinem Glück nicht auch noch was im Magen kriege. Ich denke darüber nach, wie ich das Wasser sonst nutzen könnte. Zu irgendwas muss es doch gut sein, wenn schon nicht zum Trinken. Da kommt mir die glorreiche Idee, dass ich mein T-Shirt und meine Mütze jetzt ausziehen und beides im Bach klitschnass machen werde. Miss Wet-T-Shirt lässt grüßen.

 

Ich stehe gerade in meiner ganzen Pracht hinter einem Baum, als doch noch jemand auftaucht. Wie sich später herausstellt, ein junges französisches Pärchen, das in Pamplona lebt und auch einen Ausflug macht. Ich ziehe rasch mein Shirt über und wir begrüßen uns. Nachdem ich mein Zaumzeug wieder angelegt habe, trabe ich weiter. - Ich war noch nie in der Wüste und ich glaube, so ähnlich muss es sein. - Als ich nach einer weiteren halben Stunde endlich in Uterga am Ortseingang angekommen bin, sehe ich eine Fatahmorgana: Einen Getränkeauto-mat. Aufgeregt krame ich nach Kleingeld. Als die eisgekühlte Zitronenlimonade endlich in meinen Händen liegt, kann ich es kaum fassen. Ich leere die Flasche in einem Zug und bin überglücklich, dass ich es endlich geschafft habe.

 

Später, in der Herberge, erzählt mit Angi, dass sie ebenfalls an dem Bächlein gerastet und sich

 

aus dem Automaten eine Flasche Cola eingeflößt hat.

 

 

 

Wir treffen uns also in der Herberge, die erste, die ich in meinem Leben je besucht habe. Dank Angi, meinem privaten Späher, haben wir das letzte und einzige Doppelzimmer in der Herberge bekommen. Es ist kühl und sauber. Ich gehe erst mal duschen. Danach mache ich Siesta auf dem Bett. Ich bin total fertig und hoffe, dass ich von der Hitze keinen Sonnenstich bekommen habe. Meine Schwester informiert mich darüber, dass es unten gegen acht Uhr Abend ein dreigängiges Pilgermenü gibt. Jetzt ist es vier Uhr und mein Magen knurrt. Also esse ich noch einen Müsliriegel und döse ein bisschen vor mich hin. Angi macht ein Foto von mir, wie ich in der Unterhose und T-Shirt wie eine Scheintote auf meinem Bett liege. Ich beschwere mich darüber, dass sie dieses Bild wahrscheinlich allen, die es sehen wollen oder auch nicht, zeigen wird. Da sie das Bild stehend von ihrem Bett aus, also von oben, gemacht hat, wirken meine Oberschenkel wie zwei Schweinshaxen. Fürchterlich!

 

nicht ...

 

 

 

Nachdem ich mich ein wenig erholt habe und meine Schwester mir den Rücken massiert hat

 

- das kann sie gut - waschen wir unsere Wäsche, spannen die mitgebrachte Schnur im Zimmer auf und hängen unsere Klamotten dran. Meine gewaschenen Shorts haben keinen Platz mehr, und ich hänge sie an der Wandleuchte auf. - Bei uns sieht’s aus wie bei den Türken!

 

 

 

Ich schreibe eine SMS an meine Liebsten zu hause: Hallo, bin klinisch tot! Nach einem Gewaltmarsch bei ca. 38 Grad und null Schatten haben wir zwar nur etwa 15 km hinter uns, aber die hattens ins sich mit 8 Kilogramm auf dem Rücken und nur einem Frühstück im Bauch. – Nichts für Warmduscher! Ich spür mein Kreuz nicht mehr! Bussi Conni

 

 

 

Das Pilgermenü ist sehr gut. Am Nebentisch übergibt sich ein Jugendlicher unter den Tisch.  Er hat einen Sonnenstich und ihm geht’s ziemlich dreckig. Seine Mutter bringt ihn nach oben ins Gemeinschaftslager. Hier in der Herberge sind außer uns beiden fast nur Franzosen. In dieser Nacht hat es ein heftiges Gewitter. Angi kann nicht einschlafen, weil draußen die ganze Zeit ein paar Hunde bellen. Und obwohl ich zuhause jeden Pups höre, schlafe ich wie eine Tote in dieser Nacht.

 

2. Tag: Uterga nach Lorca (18 km)

 

 

 

Angi ist der Meinung, dass ich morgens viel zu viel Zeit im Bad brauche (15 Minuten!), außerdem dauere ihr mein Füße-Verpflastern und das Rucksackpacken zu lange, und ich solle ihrer Meinung nach deswegen eine Stunde eher aufstehen. – Ich bin begeistert! Doch nach dem Hitzeschock gestern, sehe ich ein, dass wir möglichst zeitig los müssen. Was muss, das muss. Das Schminken spare ich mir an diesem Morgen. Auch an den nächsten Tage, denke ich nicht mehr an meine naive Bauernmalerei. - Es geht auch ohne. Das Frühstück lassen wir ausfallen, es gibt hier nämlich keines. Angi hat ein paar kleine Päckchen Nescafe mit allem drin dabei. Wir brühen uns zwei Kaffee unter dem Wasserhahn auf und rühren ihn mit dem Stiel unserer Zahnbürste um. Schmeckt gar nicht mal so schlecht.

 

Das Gewitter gestern Nacht hat die Luft herrlich abgekühlt. Leichte Nebelschwaden begleiten unsere Pfade und eine Einwohnerin des Dorfes stochert mit einem Stock nach Weinberg-schnecken, die hier massenweise rumkriechen. Sie wünscht uns einen buen Camino.            Die Vögel zwitschern und vor uns liegt wunderschön der erwachende Morgen. Nur der Weg ist ziemlich matschig. Ich habe mir heute meine anderen Schuhe mit Gorotex angezogen. Die sind wasserdicht. Ich habe vier paar Schuhe dabei: Ein Paar Sandalen, ein Paar Turnschuhe, ein Paar höher geschnittene Gorotex-Sportschuhe und ein paar Latschen zum Füßeausruhen. Nach einer Weile treffen wir auf weitere Pilger. Auch sie kämpfen mit dem Schlamm und stellen fest, dass die Spanier offensichtlich wirklich glauben, wir Pilger müssten unsere Sünden abbüßen, weil sie manche Wege des Caminos kein bisschen verbreitern oder verbessern. Etwas später begegnet uns ein junger Österreicher. So habe ich mir den heiligen Christopherus immer vorgestellt: Dunkles längeres Haar, braune Knopfaugen, schwarzer Vollbart und einen großen Pilgerstab. Dazu einen großen Rucksack, kakifarbene Bundeswehrstiefel und einem Mantel ähnelnde Jacke. Wir gehen ein Stück zusammen und er erzählt uns, dass er bereits seit vier Wochen unterwegs sei und in Graz losmarschiert wäre. Am schönsten fände er es, wenn es regne und die Wege matschig seien. Dann wäre er so damit beschäftigt, sich auf den Weg und seine Beine zu konzentrieren, dass er die Zeit und auch das Gewicht seines Rucksackes vergäße. Da ging es mir ähnlich: Vor lauter Vorsicht, mich auf dem Matschweg nicht zu vertreten, habe ich meine Rückenschmerzen vergessen.

 

Puente da Reina ist ein schönes Örtchen und wir kommen an einer Luxus-Konditorei vorbei, die lauter süße Leckerein und Törtchen anbietet. Die Bude ist rappelvoll und ganze Horden von Pilgern haben sich hier niedergelassen. Es ist kein Platz mehr frei. Und ehrlich gesagt, verlangt es meinem Magen nach etwas Deftigerem. Ich sage daher: „Wir könnten doch ein Häuschen weitersehen und nach Eiern mit Speck Ausschau halten.“ Wir finden eine kleine Kneipe um die Ecke. Falls man die Küche eines Lokales nach der Reinlichkeit der Toiletten beurteilen kann, gab es hier wahrscheinlich nichts, was essbar war. Wir bleiben trotzdem.

 

Nach dem Frühstück, auf der berühmten Königs-Brücke, hole ich vorsichtshalber meine Notration Schnaps heraus und nehme einen kräftigen Schluck. Den habe ich immer dabei, für alle Fälle. Man kann ihn bei verdorbenem Magen oder bei dem Gefühl von Kälte trinken oder für Wunden als Desinfektionsmittel benutzen. Meine Schwester macht sogleich ein Foto von mir und der Flasche. Wir beschließen, die in Angis Reiseführer angegebene Ersatzroute auf der alten Bundesstraße zu nehmen, weil der normale Pilgerpfad, bedingt durch den nächtli-chen Regen, zu matschig und beschwerlich sein würde. Das geht ganz gut. Angi läuft wie gewohnt ungefähr einen Kilometer vor mir her und ich, wie der Buro, hinten drein. Im nächsten Dorf auf einer Bank mit gegenüberliegendem Shop lassen wir uns nieder. Nach einer Weile kommt ein Mountenbiker des Weges. Sein Fahrrad und er sind zusammen mit dem Matsch zu einer Einheit verschmolzen. Er sieht aus wie ein einziger Dreckklumpen. Diesmal schieße ich ein Foto. Nachdem Angi und ich unsere Wasservorräte befüllt haben, laufen wir weiter. Als wir das Stadttor des Örtchens Cirauqui durchschreiten, erspähe ich einen ver-lassenen Stempel samt Stempelkissen und erinnere mich ganz plötzlich daran, dass wir beide  so etwas wie einen Pilgerausweis bei uns führen. Ich ergreife den Stempel und probiere ihn auf einem Stück Papier aus. Tatsächlich, ein Stempel für unseren Pilgerausweis. Angi ist wie immer bereits um die Ecke verschwunden. Ich rufe ihr nach und wir machen unseren ersten Stempel in den Pilgerausweis.

 

Bei mir ging es heute ganz gut mit dem Wandern. Es war ja auch nicht mehr so heiß. Doch allmählich gewinne ich den Eindruck, dass es nun auch bald genug ist. Jedenfalls für mich. Mein Rucksack drückt mal wieder und die Schuhe auch. Da sehe ich unter einer Brücke ein Bild mit der Aufschrift „ALBERGUE 500 Metres“. Das könnt ich gerade noch schaffen, denke ich erleichtert. Mit frischem Mut laufe ich im Schweinsgalopp hinter Angi her. „Jetzt ist es nicht mehr weit“, meint sie aufmunternd. Nach etwa einem halben Kilometer kommen wir an einem halb verfallenen Haus mit bellenden Hunden vorbei. Von der Herberge ist nichts zu sehen. Es geht einen holprigen, steilen Weg hinauf, mindestens noch weitere 1,5 Kilometer, bis endlich am Ortseingang von Lorca sind. – Sauber verarscht! denke ich wütend.

 

Nachdem es in den meisten kleineren Orten nur eine Pilgerherberge und nichts sonst zum Übernachten gibt, arrangiert Angi uns sofort in der ersten ein Vierbettzimmer. Es kostet         vier Euro, und ist meiner Meinung auch nicht mehr wert. Ich erfahre ganz nebenbei, dass es in dem Zimmer kein separates Klo und keine eigene Dusche gibt und bin grantig. Vorsichtig frage ich den Herbergswirt, ob in unserem Zimmer heute Nacht auch noch andere Personen außer mir und meiner Schwester nächtigen werden. Er verneint und ich bin erst mal beruhigt.

 

Das Zimmer befindet sich im 2. Stock und alles, was dort vorhanden ist, sind zwei Stock-betten und vier Decken, das war’s. Der Duschraum nebenan, ist nur für Leute aus der Sahelzone geeignet und in dem kleinen Waschbecken scheint es mir unmöglich, meine Wäsche zu waschen, ohne dabei das ganze Badezimmer zu überschwemmen. Angi findet’s in Ordnung.

 

Zu meinem Entsetzen stelle ich fest, dass sich in der Dusche kein einziges Handtuch befindet. Meine Schwester und ich haben jeweils nur ein kleines Gästehandtuch dabei, nachdem ein größeres nicht mehr in unseren Rucksack gepasst hat und wir ja ursprünglich nicht vorhatten, in Pilgerherbergen zu übernachten. Ich trabe also zu dem jungen Herbergswirt und bitte um ein Dusch-Handtuch. Er holt aus einer alten Rumpelkammer eines und drückt es mir lächelnd in die Hand. Noch bevor ich ihn fragen kann, was denn mit dem für meine Schwester sei, ist er wieder verschwunden. Super! Ein Handtuch für zwei. Ich schleppe mich begeistert die zwei Stockwerke hoch in unsere Kammer und übermittle meiner Schwester die freudige Neuigkeit. Sie scheint unbeeindruckt und ich sage nur: „Ich dusche zuerst.“

 

Danach wasche ich meine Wäsche, setze das Badezimmer unter Wasser und befreie meine Dreckschuhe in der Duschwanne vom Morast. Weil es hier anschließend so aussieht als ob jemand ein Moorbad genommen hätte, säubere ich mit Hilfe des Duschhahnes und dem einzigen Waschlappen, den ich bei mir führe, auf meinen Knien, das Bad. So kann ich das ja keinem hinterlassen. Ich bin sauer. Dann geht es ans Wäscheaufhängen, wie jeden Tag. Der einzige Vorteil hier ist, dass offenbar eine sehr hohe Lufttrockenheit herrscht und alles immer  schnell trocknet. Meine Blasen, die ich mir beim Endspurt der angekündigten letzten          500 Meter, die dann in zwei Kilometer ausarteten, zugezogen habe, lassen grüßen. Meine Laune ist großartig. Wie immer, gibt es auch erst um acht Uhr etwas zu essen - Derweilen kann ich ja Daumen lutschen. Ich verarzte also meine lädierten Füße und schleppe mich die Treppe hinunter. Dort steht ein alter Gartentisch und ein paar dazu passende Plastikstühle. Wenigstens gibt es hier gekühltes spanisches Bier. Ich bestelle mir gleich eines. Später ordere ich noch ein Tunfisch-Sandwich. Ich stopfe es mir vergnügt in den Mund und halte inne. Irgendwie schmeckt dieses Zeug eigenartig. Ich öffne den Brötchendeckel und lege das Sandwich angewidert zur Seite. Der Tunfisch ist teilweise ganz schwarz. Das muss ich jetzt nicht haben, dass ich mir auch noch eine Fischvergiftung hole. Dann lieber noch ein grande Serveza, Senior. Zu uns gesellt sich ein älterer Herr, der sich als Herr Richter vorstellt. Der Herbergswirt unterhält sich offenbar mit ihm über sein Alter, nickt respektvoll und gibt ihm ein Freibier aus. Ich frage den Senioren, wie alt er wäre und nach einigem hin und her erklärt er, dass er neunundsiebzig sei und auch nach Santiago de Compostella wandern wolle. Außerdem wäre das für ihn ja nicht so wild, schließlich treibe er zuhause viel Sport und würde im Winter, zusammen mit seinem Hund, jeden Tag circa 20 km Ski langlaufen Wir sind vollkommen geplättet. Außerdem erzählt Angi mir später noch, dass der ellenlange Pilgerausweis an der Wand unserer Pilgerherberge vom berühmten „Pepe“ stamme. Den hat der Hape in seinem Bericht auch erwähnt und in einem Reiseführer war sogar sein Bild abgebildet. Der ist wandert schon seit Jahren von Pilgerherberge zu Pilgerherberge. Immer wenn eine neue eröffnet, taucht er auch schon auf und lässt sich einen Stempel in seinen Pilgerausweis machen. Irgendwann verschenkt er ihn dann an eine Herberge. Er sieht aus wie ein Methusalem, ist aber bei weitem noch nicht so alt, wie er aussieht. Der sei gerade eben persönlich hier gewesen. Man glaubt es kaum. Da hätte ich jetzt aber was versäumt.

 

Später kaufen wir noch in einer zum Supermarkt umfunktionierten Garage ein paar Vorräte ein. Ich habe es mir angewöhnt, unterwegs bis zum ersten Frühstück etwas Obst zu essen. Von diesem ständigen Weißbrot kriege ich sonst Verstopfung. Draußen wird es langsam dunkel und es zieht ein Gewitter auf. Wir treffen zwei Frauen aus der Herberge vom vorherigen Abend. Sie fragen, ob wir ihren Bekannten, den kleinen Franzosen getroffen hätten. Wir erklären, dass wir ihn am Morgen mal kurz gesehen, dann jedoch wieder aus den Augen verloren hätten. Außerdem entdeckt Angi nach einer Weile am Bein einer Pilgerin eine kleine Zecke und macht gleich Reklame, dass ich eine Zeckenzange von meiner Katze dabei hätte und alles sofort operieren könnte. Ich schleppe mich deswegen in unser Zimmer hoch, hole die Zange und entferne die Zecke profimäßig. Alle sind begeistert und die Frau fragt, ob ich Krankenschwester sei. Draußen hat es wie aus Kübeln zu schütten angefangen und außerdem merklich abgekühlt. Mein Magen knurrt und ich bin froh, als es endlich acht Uhr ist. Das dreigängige Pilgermenü wird gegenüber in der etwas besser ausgestatteten Herberge gereicht und kostet inklusive einer Flasche Rotwein nur 12 Euro. Zu uns gesellt sich ein älteres Ehepaar. Die beiden erzählen uns, dass sie jedes Jahr drei Wochen auf dem Camino wandern. Trotz ihrer gesundheitlichen Probleme würden sie täglich circa 10 km wandern und bei Bedarf immer wieder ein Stück mit dem Bus weiterfahren. Auch Herr Richter kommt später noch an unseren Tisch und wir unterhalten uns prächtig. Ich esse eine Fischsuppe, in der kein einziges Stück Fisch schwimmt, der zweite Gang besteht ebenfalls aus Fisch und entpuppt sich als Mini-Forelle. Sie schmeckt zwar gut, aber mein Magen ist immer noch hungrig. Doch mehr gibt’s heute halt nicht, basta. Und das Frühstück morgen fällt auch mal wieder aus. Da bin ich froh um meine Orange, die ich heute Abend gekauft habe.

 

Später schreibe ich noch ein SMS an meine Liebsten zuhause: Hallo, nach einem heftigen Gewitter gestern Abend war es heute Gott sei dank nicht mehr so heiß. Haben heute so ca. 20 km auf dem Buckel. – St. Blasien lässt grüßen. Bussi Conni

 

3. Tag: Lorca nach Villamayor de Manjardin (12 km gelaufen), bis Los Arcos

 

(15 km gefahren) bis Torres del Rio (2 km weitergelaufen)

 

 

 

Wir haben verschlafen. Mein Handy hat nicht geklingelt. Ich habe vergessen, den integrierten Wecker einzustellen. Meine Füße müssen noch versorgt werden, doch Angi ist wie immer bereits startklar und scharrt mit den Hufen. Es ist schon fast 7.00 Uhr als wir uns, ohne Frühstück, auf den Weg machen. Vor der Herbergstüre begegnen wir Michael. Er hat ebenfalls in unserer Unterkunft übernachtet und will auch gerade aufbrechen. Wir wechseln ein paar Worte und gehen ein Stück neben einander her. Als ich Angi später einhole argwöhnt sie, dass es besser sei, dieses Plappermaul loszuwerden. Ich kann nichts Unrechtes an dem Mann finden und wende ein, dass es doch unhöflich wäre, ihn einfach so abzuhängen. Wir laufen ein Stück weiter, und er hat uns bald wieder eingeholt. Meine Schwester wendet sich um und sagt: „Auf uns brauchst du nicht warten. Wir machen immer ganz viele Fotos.“ Michael lässt sich nicht abschrecken und antwortet: „Macht nichts. Ich auch.“ Ich finde ihn eigentlich ganz nett und muss schmunzeln. Später berichtet er uns von seiner schwierigen Pyrenäenüberquerung ab St.-Jean-Pied-de Port in Frankreich. Davon hat Hape in seinem Buch auch geschrieben. Michael kommt aus Deutschland und ist alleine auf dem Camino unterwegs. Ich schätze ihn so auf Mitte vierzig. Wir erzählen uns dieses und jenes und ehe wir uns versehen, erreichen wir ein kleines Dorf. Nach ca. 1 km entdecken wir beim Vorbeigehen eine Bäckerei. Vor der Türe stehen die üblichen Plastikstühle und ein Tisch, und von drinnen duftet es herrlich nach Gebäck und Kaffee. Ich habe unterwegs meine Orange verdrückt und will gerade vorbei-gehen, als Michael vorschlägt, doch ein Kaffeepäuschen einzulegen. Ausnamsweise würde ich heute lieber weiterlaufen. Wenn ich jetzt nämlich absattelte, würde mir das Weitergehen um so schwerer fallen. Außerdem vertrüge ich sowieso keinen Kaffee und ich hatte ja gerade erst meine Orange gegessen. „Kommt Mädels, ich lad’ euch auf einen Kaffee ein! Wer weiß, wann wieder so eine Gelegenheit kommt.“ ruft Michael lachend. Überredet. Das frische Blätterteiggebäck ist honiggelb und wunderbar locker. Es schmeckt einfach köstlich! Michael und Angi trinken einen Kaffee dazu, und nach ungefähr einer viertel Stunde sind wir wieder in Aufbruchstimmung. Kurz darauf treffen wir auf Herrn Richter, den 79jährigen aus Uterga. Er ist ganz schön flott unterwegs, aber wir überholen ihn. Er begrüßt uns als wir vorbei gehen und meint lachend: „Ah, da ist ja die Frau mit den vielen Schuhe wieder!“ Er spielt auf meine vier Paar Schuhe an, von denen ich immer eines außen am Rucksack baumeln habe, weil es nicht mehr hineinpasst.

 

Auf unserem Weg nach Villatuerta machen Miachel, Angi und ich viele Fotos. Es gibt auf dem Jacobsweg besonders schöne alte Kirchen, die so ganz anders als die Kirchen bei uns aussehen. Zwar sind die meisten von ihnen nur aus Stein gebaut, ohne jegliche Farbver-zierungen, ihre runden Kuppeln, die unzähligen Zinnen und Giebel aber und die stets riesigen Eingangsportale, verleihen ihnen etwas orientalisch Anmutendes. Die Mauren haben ihre Spuren hinterlassen.

 

Wir laufen weiter und genießen die herrliche Umgebung. Die Landschaft kommt mir hier vor, wie eine Mischung aus Toskana und Piemont. In der Ferne begleitet uns das Kantabrische Gebirge, die Fortsetzung der Pyrenäen. Es erinnert mich ein wenig an die Dolomiten, ist aber lange nicht so mächtig und imposant. Wir bewegen uns in Mitten sanfter Hügel, die verschie-denste Grüntöne aufweisen und sind umgeben von gelb bis golden leuchtenden Weizenfel-dern. Am Wegesrand leuchten die schönsten Feldblumen in den buntesten Farben. Dazwi-schen entdecken wir immer wieder kleine Weinberge. Satte Hecken aus zitronengelbem Ginster säumen unsere Wege. Über uns befinden sich Berge von Schäfchenwolken am azurblauen Himmel. Die Welt könnte nicht schöner sein, würden meine Blasen nur nicht so höllisch schmerzen. Mein Rücken macht sich auch schon wieder bemerkbar, und ich komme mir streckenweise vor, wie eine gehbehinderte alte Oma. - Es muss schlimm sein, wenn man nicht richtig laufen kann, denke ich. Wie schön eigentlich, dass ich zwei gesunde Beine habe.

 

Irgendwann erreichen wir Estella, die Schöne. Dieses Örtchen übt in der Tat, mit seinen gepflegten alten Steinhäusern und Gassen, einen besonderen Reiz aus. Die vielen bunt geschmückten Blumenkästen vor den Fenstern und Balkonen tun ihr Übriges. Auf dem Weg dorthin sind wir immer mal wieder ein Stück mit Michael gegangen, dann wieder alleine vor oder hinter ihm. Derzeit befindet er sich außer Sichtweite. Er hat uns überholt, weil die zwei Sisters mal wieder fotografieren mussten. Wir sind gerade am Weitergehen, ich eher am Weiterhinken, da fuchtelt ein Einheimischer plötzlich ganz aufgeregt mit seinen Händen herum. Er hält eine Fotoapparat-Tasche samt Inhalt in Händen und erklärt aufgeregt, dass diese wohl ein Pilger verloren hätte. Angi meint: „Die gehört bestimmt Michael, der hat doch heute dauernd was vergessen. Das ist auch so ein Licht!“ Sie nimmt dem Mann die Fototasche ab und macht deutlich, dass wir den Pilger kennen, der sie verloren hat. Wir versichern zum Abschied, dass wir sie dem rechtmäßigen Besitzer schnellstmöglich zurückgeben werden. Fröhlich wandern wir weiter und gehen einen Gang schneller, um ihn bald einzuholen. Als wir den nächsten Ort erreichen, können wir Michael nirgends finden. Als wir gerade ein paar Fotos der hiesigen alten Kirche machen, sehen wir ihn auf einmal. Meine Schwester überreicht ihm sogleich freudestrahlend seinen verlorenen Fotoapparat, worauf er erstaunt sagt: „Das ist nicht mein Fotoapparat!“ - Au Backe, so eine Sch…!

 

Wir erzählen ihm kurz, wie wir zu dem Fotoapparat gekommen sind und blicken alle drei etwas ratlos aus der Wäsche. Da braust plötzlich ein total abgehetzter Radfahrer mit quietschenden Reifen um die Ecke. Er sieht uns, wirft sein Fahrrad auf den Boden, rennt zu Angi die Kirchentreppe hinauf, umarmt sie heftig, reißt ihr die Fototasche aus der Hand und fällt schließlich vor ihr auf die Knie, um etwas wie „vielen, vielen Dank“ in französischer Sprache zu stammeln. Das gibt’s doch nicht. Das war der Kerl, dem der Fotoapparat gehörte! Wir müssen alle herzlich lachen, und ich schieße ein Foto von dem glücklichen Unglücks-raben, bevor er wieder losbraust. Hape hatte wieder recht gehabt: Manchmal passieren auf dem Camino Dinge, die normalerweise nicht passieren ...

 

Nachdem wir uns wieder eingekriegt haben, machen wir uns auf den Weg. Michael und Angi sind schon mal vorgegangen. Ich halte unterwegs an, um meine verpflasterten schmerzenden Füße zu versorgen. Meine Turnschuhe und die Socken ziehe ich aus. Ich steche mir ein paar neu dazugekommene Blasen an den Füßen auf und verklebe meine letzten Pflaster. Außerdem ziehe ich meine Wandersandalen an, da der Druck der Turnschuhe auf meine Blasen an   beiden Fersen unerträglich geworden ist. Ich kann mir das leisten, ich habe ja vier paar Schuhe dabei.

 

In Monasteria de Irache, einem ehemaligen Kloster, geht es zünftig zu. Heute befindet sich dort ein Weinmuseum und eine Weinkellerei. Das besondere daran ist, dass man kostenlos so viel Wein aus einem Zapfhahn , der außen an einem Gebäude angebracht ist, abfüllen kann, wie man will oder vertragen kann. - Angeblich haben schon so manche Pilger deswegen im Klostergarten oben ihren Rausch ausgeschlafen. Ich treffe Michael und frage ihn nach Angi. Sie liegt fröhlich im Gras des Klostergartens mit einem „Schöpple“ Wein und lässt die Füße baumeln. Michael hat es sich auf der Steinbank und dem dazugehörigen Tisch bequem gemacht. Wir haben alle drei unsere Schuhe ausgezogen und genießen den Wein und den schönen Garten. Unser männlicher Begleiter hat auch ein paar Blasen abbekommen, die ihn drücken. „Die hat hier jeder“, beteuert er. „Ja, das glaube ich gern, aber müssen es denn gleich so viele auf einmal sein, wie bei mir?“ frage ich schmollend. „Das wird schon wieder! Die erste Woche ist immer die schlimmste!“ sagt Michael. Ich stelle fest: „Das ist ja wunderbar, wenn’s also besser damit wird, fahre ich wieder nachhause. Großartig!“ Plötzlich kommt ein Mann mit Onepack, etwa Mitte fünfzig, in kurzer Hose und Latschen  auf uns zu. Wir wechseln ein paar Worte mit ihm. Nach einer Weile fragt er aufgeregt: „Und ihr seid also richtige Pilger? So richtig, mit Rucksack und Wandern?“ Ich zeige ihm die Unterseite meiner verpflasterten Füße.Wir nicken. „Darf ich ein Foto von euch machen?“ Wir nicken wieder und sind sehr amüsiert als er ein Foto von uns drei macht: Michael mit seinem Pilgerstab, Angi im Gras liegend mit ihrem Rucksack und ich mit meinen verpflasterten Füßen, die ich extra für ihn in die Luft halte.

 

Stellte sich hier nur noch die Frage, was   e r   in diesem Aufzug eigentlich hier machte. Er erzählt, mit vier Kumpels aus Offenbach bei Frankfurt am Main unterwegs zu sein. Die vier, alle selbständige Geschäftsmänner, mit dem Fahrrad und er mit dem VW-Bus als Begleit-fahrzeug. Er sei für die Versorgung und die Zimmerreservierungen zuständig. Wir sagen, so etwas könnten wir auch brauchen. Kurz darauf verabschiedet er sich und wir packen zusammen.

 

Auch ich muss mein Ränzlein wieder aufschnallen und Sünden abbüßen. Unterwegs erzählt Michael mir noch, warum er auf dem Camino sei. Stress im Beruf und eine depressive halbwüchsige Tochter zuhause, außerdem einen aufmüpfigen Sohn, der gerade dabei war, auszuziehen. Michael meint, er hätte die letzten Jahre viel zu wenig auf sich selbst geachtet und immer nur für die Familie gelebt. Das wäre ihm und seiner Gesundheit nicht gut bekommen. Daher jetzt die Auszeit. Ich habe schon unterwegs bemerkt, dass er ein ganz gutmütiger Kerl, a gaude Sau, wie der Franke sagt, ist. Weil ich wegen meiner Blasen mal wieder wie eine Ente auf Eiern laufe, leiht er mir seinen Pilgerstab in der Hoffnung, es ginge mir jetzt besser. Doch das hilft leider auch nichts. Michael erzählt, dass er gestern seine kurzen Hosen in der Herberge vergessen hätte und deshalb ein ganzes Stück Weg noch mal zurückgelaufen sei. Unterwegs wäre er dann eine Mitpilgerin begegnet, die sich am Knie verletzt hatte. Weil sie alleine nicht mehr laufen konnte, hätte er sie zum Arzt gebracht und so fast einen ganzen Tag seiner Reise verloren.

 

Wir drei durchqueren das erste und einzige schattige Stück Wald auf unserem Camino. Der Duft der Bäume erinnert mich an den Geruch auf Friedhöfen bei uns zuhause. Es riecht nach Bux, und um mich herum sehe ich plötzlich auch lauter kleine Buxbäumchen..

 

Nach einer Weile werden die Alten und Schwachen, also ich, mal wieder zurückgelassen. Angi und Michael sind nicht mehr zu sehen. Ich beiße die Zähne zusammen und hinke hinterher. Inzwischen frage ich mich ernsthaft, wie lange ich diese Schmerzen noch aushalten werde. Bei Villamajor de Mojardin bin ich fix und fertig. Nachdem es in diesem Ort keinen Bus gibt, schlägt meine Schwester vor: „Dann fahren wir eben per Anhalter weiter, wenn du nicht mehr kannst.“ Michael ruft sie zu: „Du schaffst es ja locker bis zur nächsten Ortschaft!“ Ich habe den Eindruck, dass es ihm eigentlich auch nicht so super geht und er lieber mit uns mit dem Bus gefahren wäre. Aber wir verabschieden uns an dieser Stelle und sollten uns auch nicht mehr begegnen.

 

Angi lotst mich auf eine alte Landstraße. Wir gehen eine Weile, und nachdem kein Auto weit und breit zu sehen ist, jammere ich: „Wir sollten vielleicht doch lieber auf die neue Bundesstraße wechseln. Hier kommt doch kein Schwein vorbei!. Wer soll uns hier schon mitnehmen?“ Flott wie ein Zinnsoldat geht meine Schwester voraus. Buro trottet hinterher. Da überholt uns plötzlich ein Wagen. Ehe ich aufblicke, winkt meine Schwester mir schon zu. Als ich näher komme, muss ich trotz meiner schmerzenden Füße lauthals lachen. Das war ja wirklich so wie in Hapes Buch: Ständig traf man dieselben Leute auf dem Camino wieder. Da stand doch der Typ von heute Mittag mit seinem grünen VW-Bus aus Offenbach auf dieser gottverlassenen Straße und wollte uns tatsächlich ein Stück mitnehmen! Ja, leckst mi am Orsch! sagt der Bayer. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen.

 

In Los Arcos, weiß der schlaue Reiseführer meiner Schwester, gibt es eine gute, von zwei Österreichern geführte Herberge. Dort wollen wir unser Glück für heute Nacht versuchen. Es ist schon nach fünfzehn Uhr, zu spät für hiesige Pilgerverhältnisse. Angi besteht darauf, dass wir vor dem Ort aussteigen, weil sie nicht will, dass uns jemand mit dem Bus in die Stadt kommen sieht. Ihrer Meinung nach schickt sich das für echte Pilger nicht. - Verdammter Sportsgeist! denke ich und schleppe mich samt Rucksack aus dem Wagen. Wir verabschieden uns von dem Offenbacher und winken ihm beim Wegfahren nach. Wir müssen noch ein ganz schönes Stück durch den Ort gehen, ehe wir die österreichische Herberge finden. Ich spüre meine Füße nicht mehr! Hinkebein lässt grüßen. Die Österreicher sagen uns, das die Zweibettzimmer alle schon reserviert sind und nur noch ein Gemeinschaftszimmer frei ist. Nachdem Angi ärgerlich meint, dass es doch gar nicht üblich sei, als Pilger ein Zimmer vorzubestellen, will sie schon einwilligen. Mir kommt der Gedanke, dass es in so einem großen Ort doch bestimmt noch andere, bessere Unterkünfte geben muss. Nach einigem hin und her ziehen wir von dannen. Vorher lassen wir uns aber noch einen Stempel in unseren Pilgerausweis machen.

 

Angi hat keine Lust mehr. Sie ist ein wenig ärgerlich darüber, dass ich nicht bei den Österreichern bleiben wollte und geht mürrisch voran. An der nächsten Kreuzung steht plötzlich der grüne VW-Bus des Offenbachers. „Komm, wir fragen ihn, ob er uns noch bis zu einem anderen Ort mitnimmt,“ sagt Angi.. Mir ist jetzt langsam alles recht, Hauptsache, wir finden endlich ein Quartier, etwas zu essen, und eine Apotheke mit Pflasterverkauf wäre auch nicht schlecht. Meine Schwester geht voraus und regelt alles. Wir quetschen uns wieder beide auf den Beifahrersitz und los geht die Fahrt. Unterwegs telefoniert unser Fahrer dauernd mit jemandem aus seiner Radfahrerflotte. Als wir auf Höhe Sansol sind, eröffnet er uns, dass er uns hier jetzt leider absetzen müsse. Zwei aus der Radfahrer-Gruppe seien verlorengegangen und er würde sie jetzt suchen fahren. Na, dann, auf ein Neues! denke ich und quäle mich aus dem Wagen.

 

In Sansol sagen sich buchstäblich Fuchs und Hase gute Nacht. Hier gibt es rein gar nichts: Keine Apotheke, kein Geschäft, keine Pilgerherberge. Hier haben sie schon nachmittags die Randsteine hochgeklappt. Na großartig! Weiterlaufen ist angesagt.

 

Nach weiteren 1,5 km - ich denke an Jesus und wie er sein Kreuz nach Golgatha geschleppt hat -sehen wir ein Ortsschild „Torres del Rio“. Der Ort selbst macht keinen sehr einladenden Eindruck, und ich sehe uns schon, wie wir erneut weiterziehen. Da steht doch tatsächlich auf einem Schild „Peregrino Albergo“. Wir treffen zwei spanische Kinder mit ihren Fahrrädern auf der Straße und fragen nach dem Weg. Sie deuten nach oben. Na wunderbar, wieder laufen und auch noch bergauf. Nimmt mein Kreuzweg denn heute gar keine Ende!

 

Als wir endlich in der Pilgerherberge ankommen, ist es schon fast siebzehn Uhr. Angi schätzt, dass es heute nichts mehr mit einem netten Zweibettzimmer werden wird und fragt darum erst gar nicht nach selbigem. Der Herbergsvater verlangt nach unseren Pilger- und Personal-ausweisen. Na, der nimmt’s aber ganz genau. Ohne unsere Pilgerausweise wären wir aber jetzt ganz schön aufgeschmissen gewesen, denn es war einiges los hier.

 

Als alles klar gemacht ist, zeigt Angi mir unser Sechsbettzimmer, gleich neben dem Eingang. Ich frage, ob’s hier wenigstens was zu essen gäbe. Angi sagt: „Nur was aus dem Automat, zum Aufwärmen in der Microwelle. Oder, ebenfalls aus dem Automat, ein Sandwich. Dort gibt’s auch Getränke.“ Ich kann’s nicht glauben. Da rennt man hier den ganze Tag mit Blasen an den Füßen durch die Gegend mit nichts als einer Orange und einem Hörnchen im Magen und dann gibt’s hier in diesem Kaff nicht mal was zu essen! Wir fragen vorsichtig, ob die Kneipe, die wir beim Rauflaufen unten an der Ecke gesehen haben, vielleicht zufällig geöffnet hätte. Wir bekommen zur Antwort, dass sie pleite gegangen sei und nicht mehr existiere. Ob es denn wenigsten einen Supermarkt oder eine Apotheke gäbe. „Eine Apotheke nicht, dafür aber einen kleine Supermarkt, etwas weiter unten im Dorf“, lautet die Antwort.

 

In unserem Zimmer ist schon ein Bett belegt. Es gehört einer Schweizerin mit Namen Yvana. Sie ist eine auffallende Erscheinung mit flammend rotem Haar und total grünen Augen. Gut dass es heuter keine Scheiterhaufen mehr gibt, kommt mir in den Sinn.

 

Wir stellen uns einander vor und sie fragt mich nach meinen Blasen als sie meine Füße sieht. „Nicht wirklich lustig, die Teile“,  meine ich. Sie zieht ihr Spritzenbesteck heraus und erklärt mir, dass ich die Flüssigkeit in meinen Blasen damit herausziehen und anschließend mit einer Nadel Fäden durch die Blasen ziehen müsse, damit die Restflüssigkeit abfließen könne. Sie sagt, sie sei kampferprobt und schon zum dritten Mal auf dem Jacobsweg unterwegs. Sie kenne sich mit Blasen aus. Mir wird ganz schlecht. Was sollte ich mit meinen Füßen machen? Die Frau hatte einen kompletten Dachschaden! Ich sage, ich würde es mir überlegen und denke gleichzeitig, nur über meine Leiche! Sie wirft mir eine originalverpackte Spritze rüber auf’s Bett und verlässt unser Zimmer.

 

Als ich vor der Dusche mit meiner Badetasche ankomme, es gibt hier eine Dusche für Männlein und eine für Weiblein, fällt mir ein, dass ich ja nur ein kleines Gästehandtuch dabei habe. Ich gehe wütend in unser Zimmer zurück, wo inzwischen eine weitere Zimmergenossin eingetroffen ist. Eine Italienerin, die mit dem Fahrrad unterwegs ist. Ich schnappe mir saubere Klamotten und trotte zurück zur Dusche. Leider ist die Türe jetzt abgeschlossen. Ich setze mich auf einen Stuhl und warte. Nach cirka einer halben Stunde, ich habe auf Anraten meiner Schwester mehrmals angeklopft, kommen zwei ältere Damen heraus und glotzen mich mürrisch an.

 

Was haben die da drinnen nur so lange gemacht? In der Dusche sieht’s lecker aus. Mehrere benutzte eklige Gel-Pflaster liegen vor dem Gulli auf dem Boden in der Mitte. Aber heute kann mich nichts mehr erschüttern. Ich dusche und fühle mich plötzlich etwas besser. Jetzt werde ich zurück in unser Mädchenzimmer gehen und mich auf meinem Bett eincremen. Ich mache die Türe zu unserem Zimmer auf und erstarre. Da stehen zwei schlanke große Männer mittleren Alters und sind gerade dabei, es sich in unserem Zimmer gemütlich zu machen. Ich frage vollkommen perplex: „Was macht ihr denn hier?“ „Wir schlafen hier“, antworten sie treuherzig. „Hier“, wiederhole ich ungläubig und habe immer noch keine Peilung. „Ja, wieso?“ lächeln die beiden und sehen mich ganz unschuldig an. Ich muss so dämlich geschaut haben wie ein Pferd das vom Esel besprungen wird. Die beiden Männer können das Lachen kaum unterdrücken. Irgendwie ist das alles heute ein bisschen zu viel für mich; ich bin total perplex und sage aus Verlegenheit etwas vollkommen Idiotisches: „Sie müssen schon entschuldigen, aber ich habe noch nie mit zwei fremden Männern in einem Raum geschlafen“. Die zwei schauen erst etwas verwirrt, grinsen dann aber und nehmen Ihre Handtücher um duschen zu gehen. Ich ärgere mich maßlos über meine blöde Meldung und denke, die müssen ja glauben, dass ich eine vollkommen blöde Zimtzicke bin! Da kommt auch schon ‚Angi ins Zimmer. „ Stell dir vor, die haben uns zwei Männer ins Zimmer gesteckt,“ platzt es aus mir heraus, und ich erzähle ihr vom Wortwechsel mit den neuen männlichen Zimmerinsassen. Sie findet das Ganze ziemlich komisch und dass ich so verdattert reagiert habe, amüsiert sie köstlich. „Hoffentlich schnarchen die nicht so laut!“ sage ich und denke an meinen Mann zuhause. „Ich muss später, wenn alle im Zimmer sind, unbedingt ein Foto von dieser Bude und uns allen machen, sonst glaubt mir keiner, wie’s hier auf und zu gegangen ist!“

 

Nachdem ich mir eine Coke aus dem Automaten gezogen habe, geht’s erst mal ans Wäschewaschen und –aufhängen. Danach latschen Angi und ich in den Supermarkt. Dieser entpuppt sich als winziger Verschlag mit ein paar Habseligkeiten. Ich kaufe Obst für den nächsten Tag und eine Flasche Roja ein. Angi nimmt eine Banane mit. Beim Zurücklaufen in die Herberge überlege ich, dass ich irgend etwas mit meinen Blasen anstellen muss, weil ich es sonst nicht mehr aushalte, geschweige denn morgen weiterlaufen kann. Zurück in unserem Zimmer erwarten mich schon unsere männlichen Mitbewohner. Sie stellen sich als Rull und Antonio vor und erkundigen sich nach meinem Befinden, als ich auf dem Bett sitzend meine Füße untersuche. Ich sage ihnen, dass es mir und meinen Blasen nicht sehr gut ginge und dass ich heute unterwegs keine neuen Pflaster bekommen hätte, weil keine Apotheke auf dem Weg lag. Rull, der Holländer aus der Nähe von Antwerpen, drückt mir sogleich ein nagelneues Päckchen voller Pflaster in die Hand und sagt, ich könne davon so viele haben wie ich bräuchte. Sehr sozial! denke ich und greife dankbar zu. Als ich wieder alleine im Zimmer bin überdenke ich den Rat der Schweizerin. Was habe ich schon zu verlieren, außer dass es besser wird mit meinen Füßen? Ich hole die Spritze aus der Verpackung, nehme das Jod, die Nadel und den Faden und los geht’s. Es kostet mich allerhand Überwindung. Zuerst steche ich in die Blasen und ziehe mit Hilfe der Spritze das Wasser aus den Blasen. Da kommt ganz schön was raus. Jetzt gebe ich Jod drauf. Dann steche ich erneut durch die Blasen, diesmal mit der Nadel mit dem Faden. Die Enden der Fäden lasse ich aus meinen Blasen baumeln. Ich sehe aus wie Rambo, der sich selbst operiert hat. Hardcore pur! Anschließend verbrauche ich das ganze Päckchen von Rulls Pflastern. Nach einiger Zeit geht es meinen Füßen etwas besser.

 

Inzwischen haben sich die meisten der Pilger im Innenhof der Herberge an den Tischen niedergelassen. Angi isst gerade eine undefinierbare Pampe aus dem Automaten, die sie sich  in der Microwelle warm gemacht hat und sagt: „Iß doch auch etwas. Also ich esse alles, wenn ich Hunger habe. Ich bin da nicht so.“ Ich lehne dankend ab. Mir wird schon vom Hinsehen übel. „Ich ziehe den Hunger einem Essen, das mir nicht schmeckt, lieber vor. Das war schon in meiner Kindheit so. Lieber hungere ich.“ gebe ich zur Antwort. Angi rollt die Augen. Ich setze mich neben unsere schweizer Zimmergenossin Yvana und Alan aus England. Er spricht perfekt spanisch, ist jedoch optisch der typische Engländer mit blasser sommersprossiger Haut und rotem Haar. Noch bevor mir jemand erzählt, dass Alan angehender Priester ist, beschleicht mich das komische Gefühl, dass Frauen nicht sein Ding sind. Yvana fragt mich erneut nach meinen Blasen, und ich bedanke mich bei ihr für den Tipp mit der Spritze. Ich erkläre, dass es mir jetzt besser ginge. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich morgen lieber ausruhe sollte, damit meine Füße sich erholen können. Yvana hat auf dem schwarzen Brett im Flur gelesen, dass von hier aus die Möglichkeit besteht, seinen Rucksack per Shuttle-Service transportieren zu lassen. Angi und ich einigen uns darauf, dass ich morgen mit dem Bus bis Logrono fahre, sie will laufen, aber ohne ihren Rucksack. Angi ist auch ein wenig angeschlagen und hat mehrere Blasen, die sie später auf dieselbe Art operiert wie ich. Weil Iwana starke Rückenschmerzen plagen, überlegt sie, morgen eventuell ebenfalls den Rucksack-Service in Anspruch zu nehmen. Sie will mir morgen früh noch Bescheid sagen. Außerdem kann ich Angi dazu überreden, dass wir uns morgen mal wieder eine normale Unterkunft gönnen. Der Priester meint, unter 80 Euro sei in Logrono kein Hotelzimmer zu bekommen. Angi ist darüber wenig begeistert. Ich suche ein Hotel aus Angis Reiseführer aus und bitte Alan darum, die Reservierung für morgen in Logrono telefonisch klarzumachen. In unserer Herberge ist ein Münzsprecher und wir wollen gerade loslegen, da erklärt die Herbergsmutter, sie hätte die Adresse eines kleinen günstigen Hotels in der Innenstadt. Es koste 45 Euro für zwei Personen die Nacht, sei mit Frühstück, wäre sehr schön und außerdem zentrumsnah gelegen. Alan wählt die Nummer und erklärt mir auf englisch, dass in diesem Hotel nur ein Doppelzimmer mit Frühstück, jedoch ohne eigenes Bad frei wäre. Ich sage ihm, dass ich darüber erst noch nachdenken müsse und ggf. später noch mal anrufen würde. Eigentlich habe ich gar keine Lust auf etwas ohne eigenes Bad. Das kenne ich ja nun inzwischen. Das ist bestimmt wieder nichts Gescheites, denke ich. Ich rede mit Angi darüber. Sie hat keine Lust in ein teureres Hotel zu gehen. Also gebe ich nach und wir reservieren das günstigere. Den Shuttle-Service organisiert uns Alan auch telefonisch und ich glaube, er will jetzt langsam wieder seine Ruhe haben. Er ist etwas genervt. Ich habe die Flasche Wein mit Hilfe meines schweizer Taschenmessers geöffnet und stopfe Alans Paprika-Chips in mich hinein. Er sagt, er bräuchte sie nicht mehr. Inzwischen hat sich Rull mit einer Tafel Milka-Schokolade zu uns gesetzt. Ich schnorre mich so durch und trinke einen kräftigen Schluck von meinem Wein. Langsam lässt der Hunger nach. Rull erzählt, dass er zuhause Besitzer einer Zimmerei gewesen wäre. Vom Stress und der vielen Arbeit sei er irgendwann nervlich am Ende und vollkommen ausgebrannt gewesen, Born-Out-Syndrom. Darauf hin habe er sein Geschäft und sein Haus verkauft. Und jetzt wäre er erst mal für ein paar Monate auf dem Jacobsweg. Nachdem ich heute kaum etwas gegessen habe, tut der Alkohol bald seine Wirkung und ich erzähle Rull einen Witz. Wir lachen. Jetzt bin ich aufgetaut und wir haben eine rechte Gaudi am Tisch. Leider dauert die Freude nicht all zu lange. Es ist dreiviertel zehn und die Herbergs-Großmutter scheucht uns auf. Alle stürzen zum Zähneputzen, dann ab ins Bett, Mund halten und schlafen.

 

Ich liege lange wach; ich bin total aufgedreht nach dem ereignisreichen Tag. Außerdem, jetzt wär’s doch gerade erst lustig geworden ...

 

Ich schreibe eine SMS an meine Liebsten: War gestern noch recht zünftig, trotz Blasen und Hunger. Habe auf Anraten einer Schweizerin meine Blasen mit einer Injektionsnadel abgesaugt und einen Faden zum Ablaufen durchgezogen, wie Rambo. Es hat geholfen. Es geht nun besser. Angi hat inzwischen auch Blasen und sich außerdem dem Magen verdorben. Bussi Conni

 

4. Tag: Torres de Rio – Logrono (21 km mit dem Bus gefahren)

 

 

 

Wir stehen um 5:30 Uhr auf. Die beiden Männer sind schon weg. Yvana und Angi meinen, die hätten heute Nacht ja ganz schön laut geschnarcht. Ich sage: „Ich hab nichts gehört. Das war doch nicht schlimm. Da müsst ihr meinen Mann mal hören, da wisst ihr was Schnarchen ist.“ Angi sagt, dass es ihr heute Nacht von dem komischen Essen aus dem Automaten total übel gewesen sei. Sie hätte sich auf der Toilette noch übergeben. – Na, Mahlzeit! Aber sie wolle ohne Rucksack nach Logrono laufen, das ginge schon irgendwie. Yvana bittet mich, ihren Rucksack ebenfalls dem Shuttle-Service mitzugeben. Sie hätte einen Zettel oben drauf gesteckt, in welche Herberge er gebracht werden soll. Wie Alan mir gestern noch gesagt hatte, würde die Abholung heute gegen sieben Uhr erfolgen. Ich erkläre mich darum zu kümmern und wir drei verabschieden uns. Mein Bus geht erst um 8:30 Uhr. Da habe ich noch etwas Zeit.

 

Zum Frühstück gibt’s wie immer nichts und ich trinke mal wieder etwas von Angis Nescafe. Da entdecke ich die Teeküche. Am Tisch sitzen zwei junge Leute, die irgend etwas undefinierbares mit Eiern essen. Sie erzählen, dass sie gestern im Supermarkt etwas für ihr heutiges Frühstück eingekauft hätten, was jedoch heute morgen offensichtlich liebe Mitpilger heimlich verzehrt haben. Es wäre nicht viel, was ihnen übrig geblieben sei, aber ich könne gerne etwas davon haben. Ich finde das echt niedlich, aber ich lehne dankend ab. Vor der Herbergstür steht eine weiße Stute und frisst Hafer. Der Mann mit seinem Cowboyhut ist tatsächlich mit seinem Pferd unterwegs. Es gibt hier die verrücktesten Typen! Michael hatte uns erzählt, irgend jemand sei auch mit einem Esel unterwegs gewesen. Der Rucksack-Mann ist da. Ich erkläre ihm mit Händen und Füßen, wohin welcher Rucksack muss. Als ich ihm Yvanas angegebene Adresse zeige, schüttelt er den Kopf und wedelt mit dem Zeigefinger. Das heißt nein. Ich verstehe nicht und er erzählt irgend etwas auf Spanisch. Ich kapier das nicht. Welches Problem hat der Typ? Ein Dolmetscher muss her. Der Mann mit dem Cowboyhut steht gelangweilt da und kommt mir gerade recht. Ich bitte ihn, mir zu erklären, was der Rucksack-Mann von mir will. Er erklärt, dass Iwana keine Unterkunft in einer Pilgerherberge bekäme, wenn ihr Rucksack mit dem Shuttle-Service komme und sie ihn nicht selbst dort hin tragen würde. Das sei verpönt. Ach du lieber Himmel, wie kompliziert! denke ich ratlos. Und ich habe nicht mal eine Handynummer von Iwana! Der Rucksack-Mann macht den Vorschlag das Gepäck von ihr in ein nahegelegenes Hotel zu bringen. Ich schreibe mir vorsichtshalber die Adresse auf. Was soll ich nur machen? Der Rucksack-Mann will plötzlich weg, er hat’s jetzt eilig! Und noch ehe ich widersprechen kann, ist er mit samt den Rucksäcken verschwunden. So etwas Blödes! Wenn Yvana jetzt in der Herberge ankommt und sich umziehen will, hat sie ihre Sachen nicht! Wie soll sie nur an ihren Rucksack kommen? Wir hätten wenigstens die Handynummern austauschen sollen, wir Idioten. denke ich verärgert.

 

Da ist guter Rat teuer. Soeben kommt ein Fahrradpilger aus unserer Herberge, der losfahren will. Ich frage ihn, ob er auf dem Pilgerweg fahre und wenn ja, ob nach Logrono. Er bejaht. Ich erzähle ihm kurz das Desaster. Dann beschreibe ich Yvana optisch und gebe ihm einen Zettel für sie mit, worauf die Adresse des Hotels steht, wo ihr Rucksack ist. Er verspricht, sein Bestes zu geben und wir wünsche uns einen guten Weg. Später, unterwegs im Bus genieße ich die schöne Landschaft und vor allem, dass ich heute nicht laufen muss. Es ist lustig anzuschauen, wie ringsumher die Pilger auf all den kleinen Wegen, wie die Ameisen herumwuseln. Ich mache ein Foto. Yvanas Rucksack lässt mir keine Ruhe. Ich denke an sie und wie wütend sie sein wird, wenn sie ihren Rucksack nicht vorfindet. Das wäre ich auch. Sie hat sich doch auf mich verlassen.

 

Logrono ist ganz schön groß. Ich habe Hunger. Hier gibt es viele Geschäfte. In einer Bäckerei kaufe ich mir etwas Süßes und frage nach dem Weg zu unserer Unterkunft. Ich habe keinen Stadtplan und weiß nur, dass unser Hotel ungefähr zehn Minuten vom Busbahnhof entfernt liegt.. Inzwischen bin ich bereits seit einer halben Stunde unterwegs und habe mehrmals nach dem Weg gefragt. Nach einiger Zeit finde die besagte Straße und suche nach der Haus-nummer. Ich werde fündig, aber es gibt keine Klingel an der Haustüre, welche verschlossen ist. Na toll, was nun? Nebenan ist irgend ein Büro. Ich gehe rein und erkläre in englisch mein Problem. Es herrscht Ratlosigkeit. Ich bitte die Frau aus dem Büro, für mich in besagtem Hotel anzurufen, da ich weiß, dass dort nur spanisch gesprochen wird und ich nur englisch und deutsch kann. Sie willigt ein und siehe da, am anderen Ende meldet sich jemand. Die Frau aus dem Büro geht mit mir vor die Türe und zeigt mir eine andere Glocke im Nebenhaus, wo ich klingeln solle. Ich folge ihrer Anweisung und es ertönt der Summton des Türöffners. Inzwischen hat mich Angi auf dem Handy angerufen. Sie ist auch eingetrudelt. Sie hat sich im Fremdenverkehrsamt einen Stadtplan besorgt und wird gleich da sein. Ich erkläre ihr die Situation und verspreche, unten vor dem Haus auf sie zu warten. Nach einer Weile sehe ich sie die Straße herunterkommen und wir begrüßen uns. In besagtem Haus im ersten Stockwerk empfängt uns eine blondgefärbte spanische Frau mittleren Alters. Sie deutet an, dass unsere Unterkunft in einer anderen Straße wäre und dass wir mit ihr kommen sollen. Eine Straßenecke weiter betreten wir ein Gebäude,. das an einer stark befahrenen Straße liegt. Im Hausflur riecht es unangenehm nach Farbe und irgendwie erinnern mich diese Betonmauern an einen Luftschutzkeller. Wir fahren mit dem Aufzug in den zweiten Stock und folgen der Frau durch einen dunklen Gang. Sie holt einen Schlüssel aus ihrer Tasche und sperrt eine Tür mit Spion auf. Im Flur der Wohnung riecht es ebenfalls nach Farbe und kaltem Zigarettenrauch. Die Wände sind terracottafarben gestrichen und es steht einiger spanischer Tüddelkram herum. Außer einem langen Flur, sehe ich zunächst nicht viel. Sie zeigt uns unser Zimmer. Es ist zwar ganz nett eingerichtet, aber es liegt direkt an der stark befahrenen Straße und ist ziemlich laut. Außerdem gibt es keine Klimaanlage und es ist stickig. Nachdem wir bezahlt haben, zeigt uns die Frau noch das Bad und gibt uns den Schlüssel. Dann verschwindet sie. Wahrscheinlich ist unsere Vermieterin irgend eine Verwandte oder Bekannte der Herbergsmutter unserer Unterkunft vom Vortag, darum hatte sie dieses sogenannte „Hotel“ wie sauer Bier angepriesen oder sie bekam gar eine kleine Provision für die Vermittlung. So hatte ich mir meinen Wellnesstag in Logrono jedenfalls nichts vorgestellt. Angi ist noch ein bisschen von ihrer Magenverstimmung und dem Laufen mitgenommen. Ich hole meinen Schnaps für Notfälle heraus und gebe ihr etwas davon. Eigentlich mag sie ja so eine Art von Schnaps nicht, aber sie sagt, dass er ganz lecker wäre. Sie sagte, dass sie jetzt gerne ein Nickerchen machen will. Ich bin gar nicht müde, ich bin ja auch nicht gelaufen. Darum krame ich in meinem Rucksack herum. Wegen der stickigen Luft, haben wir das Fenster geöffnet. Unten auf der Straße an der Ampel veranstalten irgend welche Bescheuerten Autofahrer ein Hupkonzert. Während ich so aus dem Fenster sehe, läuft auf der anderen Straßenseite der Cowboy mit seinem weißen Pferd vorbei und ich denke ich werd’ nicht mehr, Antonio und Rull gleich hintendrein. So ein Zufall, das gibt’s doch gar nicht. Ich stecke zwei Finger in den Mund und pfeife aus Leibeskräften. Weil es unten auf der Straße so laut ist, hört man es wohl nicht. Dafür ist Angi nun aufgewacht und beschwert sich über meine Randale. Yvanas und ihr Rucksack fallen mir plötzlich wieder ein. Ich erzähle Angi die Geschichte und wir beschließen, Yvana in der Herberge zu besuchen. Frisch geduscht ziehen wir los. Es ist ein ganz schönes Stück dorthin und meine Füße melden sich zurück. Als wir die Herberge betreten, kommt uns Yvana schon freudestrahlend entgegen. Sie umarmt mich und ich frage sorgenvoll: „Hast du deinen Rucksack bekommen?“ „Ja, ja. Das war eine lustige Geschichte heute. Ich hatte es die ganze Zeit im Urin, dass irgend etwas mit meinem Rucksack ist, deswegen bin ich heute besonders schnell gegangen und habe alle überholt. Ich wusste nicht warum, aber mir war klar, ich musste schnell gehen. Als ich gerade eine Landstraße überqueren wollte, rief ein fremder Radfahrer meinen Namen. Er fragte mich, ob ich Yvana sei und gab mir deinen Zettel, Conni. Wenn ich nur eine Minute später gekommen wäre, hätte ich ihn sicher nie getroffen. Das war schon der Wahnsinn!“ antwortete sie. Ich erzähle ihr, was passiert ist und bin sehr froh, dass sie der Mann mit dem Fahrrad tatsächlich getroffen hat. Wir ratschen ein bisschen und treffen Hans aus dem Stuttgarter Raum. Er ist gestern auch bei uns in der Herberge gewesen und wie Antonio und Rull uns erzählt haben, studiert er Sprachen und spricht außer deutsch perfekt spanisch. Wir unterhalten uns sogleich über unsere gemeinsamen Blasenprobleme und diskutieren ein wenig über Pflastersorten. Ich weiß inzwischen nur eines: Blasen müssen ausgetrocknet werden, und das geht mit einem Faden, den man durch die Blasen zieht und frischer Luft am aller besten. Gel-Pflaster sind nur etwas für Druckstellen. Für bereits bestehende Blasen sind sie Gift und verschlimmern den Zustand nur weiter

 

Yvana hat die glorreiche Idee mich von zwei ehrenamtlich tätigen Frauen in ihrer Pilgerher-berge verarzten zu lassen. Sie sehen sich meine Füße an und stochern ein wenig daran herum. Yvana übersetzt, dass sie meinen, ich solle mir kleinere Druckpflaster besorgen und sie drauf machen. Ja, was denn nun? Hans, Yvana, meine Schwester und ich verabreden uns für später zum Essen in der Stadt, nachdem Yvana und Hans mit ihrer Wäsche fertig sind. Angi und ich gehen schon mal vor. Wir setzen uns in ein nettes Restaurant in der Fußgängerzone, wo man draußen sitzen kann. Hans unterstützt uns später mit seinen Spanischkenntnissen beim Bestellen des Menüs. Außerdem ordern wir eine Flasche Wein und lassen es uns so richtig gut gehen. Im Eifer des Gefechts entsorgt der Kellner versehentlich zusammen mit der Papiertischdecke unserer Vorgänger Yvanas Schachtel Zigaretten gleich mit. Wir kichern, weil die Schweizerin doch dauernd davon erzählt hat, dass sie endlich mit dem Rauchen aufhören müsse. Wir sagen, das wäre doch ein Zeichen von oben und sie solle es doch jetzt gleich anpacken. Obwohl Yvana ja normaler Weise immer gleich irgend welche Zeichen erkennt, will sie diesmal gar nichts davon wissen und geht los, um sich eine neue Schachtel zu besorgen. Wir lästern. Es ist gegen sieben Uhr abends als wir uns angesäuselt auf den Rückweg zu unserem Shit-Hotel machen. Unterwegs kaufe ich noch die halbe Apotheke mit Pflastern leer, ich habe schon wieder keine mehr. Außerdem drehen wir noch eine Ehrenrunde, weil mir die Füße ja noch nicht genug wehtun. Es begab sich wie folgt: Weil wir unser Vorräte (Wasser + Obst etc.) auffrischen müssen, irren wir umher und suchen einen Supermarkt. Schließlich finden wir einen. Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt haben und mir mal wieder meine Füße scheiß weh tun, stapft Angi forschen Schritte voran, als wüsste sie den Weg zum Hotel ganz genau. Brav trabe ich hinterher. Wir verlaufen uns kurz, wie üblich und als wir endlich ankommen, sehen wir, dass der Supermarkt, in dem wir vor cirka zwanzig Minuten eingekauft haben, direkt vor unserer Haustüre liegt und wir einmal um den Kreis gegangen sind. Bei dem Lärm und der Schwüle in dieser Nacht schlafen wir saumäßig schlecht. Und ich resümiere, dass die Herbergen wenigstens immer ruhig gelegen sind und man in ihnen eine Menge netter Leute kennen lernt.

 

Ich setzte eine SMS ab: Sind hier in Logrono in so einem Shit-Hotel, direkt an einer stark befahrenen Straße. Heute war wieder großer Blasen-Pilger-Kongress mit Tipps und Tricks. Außerdem Stadtbesichtigung mit anschließendem Fress- und Saufgelage in der Stadt. Morgen fahren wir zuerst ein Stück mit dem Bus und dann muss ich wieder Sünden abbüßen. Bussi Conni

 

5. Tag: Logrono nach Najera (26 km mit dem Bus) nach Afroza (6 km gelaufen)

 

 

 

An diesem Morgen haben wir uns mit Yvana am Busbahnhof in Logrono verabredet. Sie hat eine Sehnentzündung am oberen Fußrist und möchte heute deshalb nicht so weit laufen. Angi und ich sind gerade angekommen als wir auf Hans stoßen, der eine hübsche Südländerin im Schlepptau hat. Sie ist an den Knien verletzt. Wir begrüßen uns und ich frage, was ihr denn fehle. Hans erzählt, dass die Frau in der Nähe des Busbahnhofs vor wenigen Minuten unglücklich gestürzt sei und sich die Knie aufgeschlagen habe. Er kramt in seinem Rucksack nach einem Pflaster, schüttelt dann jedoch den Kopf. „Hab kein so großes Pflaster mehr, nur noch ein paar kleine. Aber zur Not tun’s die auch.“ Ich sage: „Ich habe genug Pflaster. Ich habe gestern die halbe Stadt leer gekauft. Welche Größe darf’s denn sein?“ Hans lacht: „Zeig mal, was hast du denn da alles?“ Ich hole eine kleine Plastiktüte aus meinen Rucksack, die bis zum Rand voller Pflaster in allen erdenklichen Größen ist und reiche sie ihm rüber. Er zückt eine kleine Nagelschere und schon wird die gute Frau fachgerecht verarztet. Sie bedankt sich vielmals. Hans sagt, dass er wegen seiner Blasen an den Füßen heute auch den Bus nähme, aber noch nicht genau wisse, wie weit er fahren werde. Wir verabschieden uns, und ich denke darüber nach, was er gestern Abend beim Wein erzählt hat. Auf dem Camino hatte er Rull und Antonio kennen gelernt, und war ein Stück des Weges mit den beiden gegangen. Er fand die beiden zwar unwahrscheinlich nett, hatte jedoch bald bemerkt, dass er seinen eigenen Weg und zwar alleine gehen musste. Hans war beruflich in der Erwachsenenbildung tätig und lehrte Sprachen. Das Problem, das er mit sich auf dem Jacobsweg herumtrug, war die Entscheidung, ob er die angebotene Stelle in Frankreich annehmen sollte oder nicht. Wenn er sich dafür entscheiden sollte, würde er hier einige Brücken hinter sich abbrechen. Er war nicht verheiratet, aber mein Gefühl sagte mir, dass außer dem beruflichen Neuanfang auch noch irgend eine Frau eine entscheidende Rolle bei seinem Problem spielte. Ich verstaute gerade meine Pflaster, als Yvana eintrudelte. Welche Freude, sie wiederzusehen! Es war immer sehr lustig mit ihr zusammen. Außerdem erinnerte sie mich total an unsere Tante Herta aus der Schweiz. Die war zwar um einige Jahre älter, aber Yvana plapperte in genau demselben Tonfall mit ihrem Schwitzerdütsch.

 

 

 

In Najera steigen wir drei aus dem Bus. Auf der Brücke zum Ortseingang treffen wir den Cowboy mit seinem weißen Pferd wieder. Er zieht ziemlich cool durch die Straße und würdigt uns keines Blickes. Yvana schwächelt heute ein bisschen. Sie sagt, sie müsse sich unbedingt in einer Apotheke ein paar Tabletten gegen die Schmerzen in ihrem Fuß besorgen und einen Einwurf machen. Wir sind gerade am Marktplatz und meine Schwester meint: „Ok., Wir warten hier auf dich.“ Yvana verschwindet in einer Seitengasse. Als sie nach zehn Minuten nicht zurück ist, wird Angi unruhig und scharrt wieder mit den Hufen. „Komm wir gehen schon mal voraus. Die holt uns mit ihren Stöcken bald wieder ein.“ Und schon ist sie auf und davon. Ich zögere einen Moment. Das ist mir jetzt gar nicht recht. Dann trotte ich hinterher. Auf einer Bank sitzt eine Asiatin, die gerade Brotzeit macht. An einem anderen Ort, an einem anderen Tag, sollten wir sie wiedersehen. Ich grüße sie beim Vorbeigehen und Angi und ich ziehen weiter. Die Sonne brennt heute wieder so was von brutal auf uns herab. Am Wegesrand, auf einer besonders öden Teilstrecke, sehe ich einen von Pilgern angehäuften Steinhaufen neben dem Schädel eines Tierskelettes. Auf dem größten Stein in der Mitte steht: Es wird alles gut. Na dann, wollen wird das mal glauben. Meine Blasen melden sich nämlich schon wieder zurück. Es ist wirklich so, wie der Kerkerling sagt: Jeden Tag tut einem entweder das gleiche oder etwas anders weh. Angi ist, wie immer, außer Sichtweite, und hinter mir kommt ein Pilger anmarschiert. Wahrscheinlich habe ich gerade wieder den Oma-Lauf-nicht-gut-Gang drauf, denn er fragt mich in englisch, wie mein Befinden sei und mustert mich mit mitleidigem Blick. „Not realy good,“ antworte ich und erzähle ihm von meinen Blasen. Er ist Engländer, und wir gehen ein Stück zusammen. Bald haben wir Angi eingeholt. Sie wartet gerade auf mich und schießt ein paar Fotos. Der Cowboy ist anscheinend heute auch erschöpft, denn als wir ihn später wiedersehen, läuft er nicht, wie gewohnt, neben seinem Pferd her, sondern reitet jetzt auf ihm.

 

Angi meint, dass es auch einen Vorteile habe, dass ich langsamer ginge als sie. Während sie auf mich warten müsse, hätte sie glücklicher Weise immer genügend Zeit, sich die herrliche Landschaft anzuschauen und Fotos zu machen. Ihre Sportlichkeit verleite sie normaler Weise immer dazu, nur das Ziel des Ankommens zu verfolgen und die Landschaft zu ignorieren.

 

Bald erreichen wir an diesem Tag Afroza. Wir wollen heute in der  kleinen Pilgerherberge

 

La Fuerte, bleiben. Laut Angis Reiseführer wird sie von einem Deutschen geführt und soll ganz o.k. sein. An der Ecke links ist ein Brunnen und drum herum etwas wie ein Marktplatz. Außerdem stehen Stühle da, und wo Stühle sind, kann eine Kneipe nicht weit weg sein. Die Herberge befindet sich direkt hier an der Ecke. Es ist erst zwölf Uhr mittags und wir fragen, ob wir schon einchecken können. Roland, der Herbergswirt meint, es sei zwar noch etwas früh, aber in Ordnung. Er macht eine kleine Hausführung und zeigt uns unser Zweibettzimmer. Wir haben Glück, weil wir so früh dran sind, denn es ist das einzige Zweibettzimmer in dem über dreihundert Jahre alten Haus.

 

Die Türe hängt etwas schief in den Angeln, und wenn wir nicht etwas davor stellen, geht sie von alleine wieder auf. Aber das Zimmer ist sauber und wir haben es ganz für uns alleine. Insgesamt gibt es hier nur sechs Betten. Genau genommen, ein Zweibettzimmer und ein Viererzimmer, außerdem ein Badezimmer für alle zusammen. Auf den Böden sind noch die Original Keramikfließen von damals und die Wände zieren wunderschöne Wandgemälde und

 

–teppiche aus neuerer Zeit, die Rolands künstlerisch veranlagte Frau gemalt hat. Er stellt uns einen Wäschekorb vor die Türe und bietet an, in seiner Waschmaschine unsere Wäsche zu waschen. Das ist ja ein Service! Wir sind begeistert. Nach einer kleinen Dusche setzen wir uns erst mal vor’s Haus und bestellen uns nebenan in der Kneipe ein Bier. Selbst Angi, hat sich inzwischen an mein bayerisches Ritual gewöhnt und trinkt öfters mal ein Bier mit.

 

Ich nehme gerade einen tiefen Schluck aus meinem Glas, als ich die vertraute Stimme von Yvana höre: „Da seid ihr ja! Hallo.“ Sie erzählt uns, dass sie auf dem Marktplatz in Najera fast eine halbe Stunde auf Angi und mich gewartet habe. Wußt’ ich’s doch! denke ich. „Sorry,“ sage ich. „Aber nachdem du nicht gekommen bist, sind wir langsam weitergegangen und dachten, du wirst uns sicher bald einholen.“ Wir können sie davon überzeugen, ebenfalls hier zu übernachten. Nach einer kurzen Einweisung durch Roland setzt sie sich zu uns. Wir unterhalten uns gerade ziemlich angeregt, als Rull und Antonio plötzlich um die Ecke biegen. Es gibt ein herzliches Wiedersehen und wir erzählen stolz von unserem Wäscheservice. Das gefällt den Männern, und sie beschließen, ebenfalls hier zu nächtigen. Jetzt sind wir alle wieder beieinander! Etwas später trifft noch ein Rentner aus Belgien namens Emil in unserer Herberge ein. Er beäugt uns zunächst etwas zurückhaltend, schließt sich jedoch bald unserem
Gealbere an und taut auf. Wir verabreden uns alle für später zum Abendessen in der Kneipe gegenüber. Vorher treten wir noch, auf Wunsch von Roland, zum Appell in seinem Haus im ersten Stock an. Er hat drei Flaschen Rotwein und Oliven vorbereitet und möchte über Trinkquellen und gute Herbergen auf unserem weiteren Weg mit uns sprechen. Als er uns einschenkt, habe ich den Eindruck, das Emil lieber keinen Wein möchte. Roland drängt ihn jedoch: „Das ist doch nicht viel, das kannst du schon trinken.“ Ich muss an meinen Arbeitskollegen denken, der früher Trinker und nun clean war und finde es gar nicht o.k.. Roland hätte wenigstens für so einen Fall auch Wasser auf den Tisch stellen müssen. Nachdem wir die eingehenden Belehrungen unseres Hausherren, welche Herbergen seiner Meinung nach etwas taugen und welche nicht, über uns ergehen haben lassen, fängt er an, Witze zu erzählen. Einer der wenigen guten ist mir im Gedächtnis geblieben. Er lautet wie folgt: Unterhalten sich zwei Pilger. Sagt der eine: „Was soll ich nur tun? Ich bin ganz verzweifelt. Ich hatte nur ein paar Socken dabei. doch die sind nun total zerfetzt. Wie soll ich jetzt weiterwandern?“ Sagt der andere: „Ich habe zwei Paar dabei. Du kannst daher welche von mir haben. Sie stehen drüben unter meinem Bett.“ Außerdem beteuert Roland in seiner Weinlaune ständig, dass er seine Frau nach so vielen Jahren Ehe immer noch liebe wie am ersten Tag. – Das interessiert uns alle brennend. - Sie wäre leider nicht da, weil ihr Vater sehr krank sei. Irgend etwas war hier oberfaul, ich wusste nur noch nicht genau was.

 

Dann quatscht er uns noch mit dem Streit zwischen ihm und irgend welchen Nachbarn aus dem Ort zu und ich glaube, alle sind froh, als es Essenszeit ist und wir uns aus dem Staub machen können. Gemeinsam gehen wir rüber in die Kneipe von nebenan. Wir sitzen gerade in gewohnt fröhliche Runde bei einem lauschigen Fläschchen Wein, als unser Hüttenwirt aufkreuzt und sich ungefragt zu uns an den Tisch setzt. So hatten wir uns den Abend nicht vorgestellt. Aber wir sind brave Pilger und werden das tapfer durchstehen. Während wir sechs

 

uns etwas zu essen bestellen, bleibt Roland nur beim Wein. It’s Showtime. Roland hört sich unwahrscheinlich gerne reden und wir sind ein geduldiges Publikum. Nur als er wieder anfängt, Witze zu erzählen, verdüstert sich Angis Blick und sie sagt: „Komm Conni, wir gehen jetzt ins Bett. Morgen müssen wir wieder früh raus.“ Ich sehe auf die Uhr. Es ist erst neun Uhr und wie immer, wenn ich Wein getrunken habe, werde ich jetzt erst richtig munter. Das dumme Gerede unsere Hausherrn kratzt mich nicht die Bohne. Soll der doch reden. Zum Glück bin ich volljährig. „Dann geh doch schon mal ins Bett,“ sage ich zu Angi. „Ich bin noch nicht müde.“ Sie verabschiedet sich eilig und weg ist sie.

 

Roland, die Plaudertasche, lässt sich indessen nicht aus der Ruhe bringen und spielt weiter den Entertainer. Aus diesem Grund zerstreut sich unsere lustige Runde ziemlich bald und wir machen eine Fliege. Als ich später meine Schwester in unserem Zimmer wieder treffe, erklärt sie, dass ihr das Geschwafel von Roland tierisch auf den Senkel gegangen sei und sie deshalb so früh gegangen wäre.

 

 

 

Ich schreibe eine SMS nach zuhause: Hallo, habe gestern und heute wieder mit Nadel und Faden an mir herumgedoktert. Aber das Wasser aus meinen Blasen ist jetzt raus. Habe zwar immer noch Schmerzen, sind darum nur 6 km gelaufen und ein Stück mit dem Bus gefahren. Hoffe, es geht morgen besser und wir können unsere 15 km laufen. Bussi Conni

 

6. Tag: Afroza bis Santo Domingo de la Calzado (16 km), 10 Minuten mit dem Bus, bis kurz vor Villoria de la Rijoca

 

 

 

Nach einem Frühstück mit hartem, trockenem Baguette vom Vortag und Tee bis zum Abwinken, brechen Angi und Yvana, und ich nach morgendlicher Fußkosmetik, zusammen auf.

 

Bei mir geht es heute mit dem Laufen besser. Ich habe mich wieder für meine Wandersan-dalen entschieden und trage meine obligatorische Orange vor mir her, weil sie nicht mehr in meinen Rucksack hineinpasst. Angi trägt, wie immer, ihre dunkelblaue Plastiktüte von Kaiser in der Hand vor sich her. Yvana ist, wie stets, voll aufmunitioniert und stiehlt uns mit ihrem Profi-Outfit voll die Show. Sie erzählt, die Walkingstöcke, die fingerfreien Kunstleder-handschuhe und den Superrucksack mit integrierter Trinkflasche und anderen Extras sowie ihre trendigen Klamotten habe sie in  einem schweizer Sportgeschäft nach einem Brand-schaden günstig eingekauft. Dort habe sie dann gleich alles mitgenommen, was ein Pilger so braucht.

 

Es geht ihr heute nicht besonders gut und sie schaut gequält aus. Seit längerem schon hat sie keinen Erfolg mehr auf einem bestimmten Örtchen und deshalb Bauchschmerzen. Angi und ich drängen sie im nächsten Ort dazu, Dörrobst zu kaufen. Zusammen mit einem Liter Wasser könnte da schon etwas herauskommen. Außerdem verordne ich ihr für ihre Weiterreise mindestens eine Orange täglich oder frisches Obst.

 

 

 

Die Landschaft ist heute mal wieder fantastisch und das Licht der Sonne zaubert die schönsten Farben auf die Felder. Ich schieße unzählige Fotos. Gegen Mittag erreichen wir Santo Domingo de la Calzada, die Stadt mit dem Hühnerwunder. Als wir einen Blick in die Kirche werfen, sehen wir doch tatsächlich in einem beleuchteten Käfig gackerndes Federvieh. So was gibt’s halt nur im Ausland! Wir suchen uns ein nettes Straßenrestaurant und machen einen Imbiß. Yvana entschuldigt sich für ihr finsteres G’schau, aber sie hätte solche Bauch-schmerzen. Außerdem wolle sie aufs Postamt, ihren lästigen Schlafsack und die warmen Sachen nachhause schicken, die würde sie bei dem warmen Wetter sowieso nicht brauchen, meint sie. - Wenn das mal gut ging! Angi und ich ordern etwas zu essen und Yvana zieht los, um auf dem Postamt ihre Sachen aufzugeben. Nach einer Weile kehrt sie erfolgreich zurück. Ihrem Bauch geht es immer noch nicht besser und sie schaut finster drein. Sie beschließt, mit dem Bus bis Belorado weiterzufahren, um sich dort ein ordentliches Hotelzimmer zu gönnen.. Dort will sie sich ausruhen und mal wieder eine richtige Sitzung abhalten.

 

 

 

Angi und ich haben beschlossen ebenfalls noch ein Stück mit dem Bus bis kurz vor Villoria de la Rijoca zu fahren. Von dort aus sind es noch 1,5 km zu einer abgelegenen Pilgerherberge, die uns unser spezieller Freund Roland empfohlen hat. Wir laufen also zum Busbahnhof und nehmen denselben Bus. Nachdem Yvana noch bis Mitte Juli nach Santiago de Compostella unterwegs sein wird und sich unsere Wege nun trennen, verabschieden wir uns schweren Herzens vor dem Aussteigen aus dem Bus und winken ihr zum Abschied nach. Ein bisschen beneide ich sie in diesem Moment um die Zeit, die ihr noch bleibt, um auf dem Jacobsweg zu wandern.

 

Draußen hat es merklich abgekühlt und der Himmel verdunkelt sich immer mehr. Es pfeift ein scheußlicher Wind und mir ist ein wenig kalt, nur mit meinem Regencape. Meine Jacke habe ich ja zuhause vergessen. Angi sagt, sie müsse daran denken, dass Yvana all ihre warmen Sachen heute per Post nachhause geschickt habe und sie jetzt vielleicht frieren werde.

 

Nach einer Weile spüren wir auch schon die ersten Regentropfen. Es wird Zeit, dass wir für heute unser Quartier finden. Vor uns läuft im Stechschritt ein rüstiger Rentner. Er hat es offenbar ebenfalls eilig, bei dem Wetter in die nächste Herberge zu kommen. Das Dorf wirkt so verlassen wie die Geisterstadt in einem alten Cowboyfilm, nur die Cowboys und der Salon fehlen. Wir laufen dem älteren Herrn hinterher und erreichen schließlich ein ziemlich baufällig aussehendes Gebäude mit der Aufschrift Perlegrino Albergue. Das also war einer der Geheimtipps von Roland!

 

Drinnen an der Wand erschlägt mich fast ein übergroße Bild. Ein Auge, das wohl das Auge Gottes darstellen soll, ist darauf zu sehen. Im Hintergrund des Bildes befindet sich eine Gestalt, die anscheinend Jesus darstellen soll und im Vordergrund eine Schar von Menschen, die wie Pilger aussehen. Um die kleine Sitzgruppe in dem kalten Raum, der einer Höhle gleicht, scharen sich zwei junge Mädchen. Eines davon spielt Gitarre und singt merkwürdige Lieder. Zwischen den beiden thront ein junger Mann, der aussieht, als wäre er der leibhaftige Jesus gar selbst, nur etwas jünger. Als wir eintreten strahlt er uns überfreundlich an als wären wir alte Freunde, und ich denke: Mein Gott, wo sind wir denn da hineingeraten!

 

Die Herbergsmutter, stellt sich heraus, ist Italienerin. Sie ist gerade dabei, die Wand zu verputzen. Klein Jesus erweist sich als Sohn ihres brasilianischen Lebensgefährten und zeigt uns die Schlafräume. Ein Traum aus mittelalterlichem Gewölbe, das mehr einem ehemaligen Kuhstall als einem Schlafraum ähnelt. Dort und in den nebenliegenden Waschräumen ist es dunkel und äußerst klamm. Außer den beiden Mädchen und uns sind keine weiteren Pilger da, die es vorziehen, hier zu nächtigen. Der Rentner, der mit uns ankam, hat sich nur einen Stempel in seinen Pilgerausweis eintragen lassen und wieder das Weite gesucht. Ich denke: Hier bleib ich nicht! Doch wohin? Draußen regnet es inzwischen in Strömen und meine Füße tun wieder weh. Außerdem friere ich. Das ist ja heute noch ein krönender Abschluss unserer Reise. Zur Abwechslung noch eine kleine Übernachtung im ehemaligen Kuhstall! denke ich und muss lachen.

 

 

 

Mich schreckt inzwischen so leicht nichts mehr, finde ich und füge mich in mein Schicksal. Ich beschließe, das Beste aus der Situation zu machen und hole meine Digi-Cam aus dem Rucksack. Ich setze mich zum kleinen Jesus-Verschnitt und seinen beiden Gespielinnen und drehe einen kleinen Kurzfilm über das Trio. Angi ist inzwischen in den Eiskeller zum Duschen gegangen und macht anschließend, wie gewohnt, ihre Wäsche. Das schenke ich mir heute beides. Ich friere, und wenn ich mir jetzt die Haare waschen würde, womöglich noch mehr. Angi fragt, ob sie meinen kleinen Reisefön haben kann, den ich bisher noch kein einziges Mal benötigt habe. – Manchmal ist ein bisschen Luxus doch nicht schlecht! Ich mache ein Foto von unserem Nachtlager und habe mir einen Schlafsack und einen Pferdedecke ähnlichen Überwurf geschnappt, worauf sich wahrscheinlich nicht mal unsere verwöhnte Katze Schnurri legen würde! Inzwischen sind doch noch ein paar Pilger eingetroffen: Draußen regnet es immer noch. Ein Italiener, zwei Luxemburger, die Koreanerin vom Vortag und ein Österreicher geben uns heute die Ehre. Die kleine Gitarrenspielerin, erfahre ich, kommt aus Kanada, Quebec. Nachdem sie entdeckt hat, dass in dieser Einöde jemand einen Fön dabei hat, fragt sie mich freudestrahlend, ob sie ihn auch benutzen dürfe. Ich glaube, sie friert ebenfalls. Mir ist jedenfalls jetzt schon kalt, und an heute Nacht darf ich gar nicht erst denken. Irgendwie werde ich die Nacht schon rumkriegen. Die kleine Koreanerin hat den Fehler begangen, ebenfalls im Eiskeller nebenan zu duschen und ihre Haare zu waschen. Sie friert. Ich biete ihr meinen Fön an und sie lächelt dankbar. Die Herbergsmutter, Lorietta, hat ihren Casettenrecorder aus dem letzten Weltkrieg angeworfen und es kommt Harfenmusik aus den Nachkriegs-Lautsprechern. Die Kanadierin ist inzwischen ins Bett gegangen und von dem Gedudel eingedöst. Angi findet’s hier trotz der Kälte ziemlich gemütlich und sie erkundigt sich nach dem Ursprung der mysterischen Musik. Es ist jetzt fünf Uhr nachmittags und zu essen gibt’s erst etwas um acht. Na super! Ich krame den Rest meines südtiroler Apfelschnapses heraus, und Angi und ich brauen uns zusammen mit heißem Wasser einen Grog. Das kommt voll gut und wärmt von innen.

 

In unserer Unterkunft gibt es zwar weder Radio noch Telefon oder Fernsehen, es existiert jedoch ein Internetanschluss. Gegen einen geringen Obolus ist es möglich, im Internet zu surfen oder eine Message durch den Äther zu jagen. Ich schreibe deshalb aus Langeweile eine Mail nach Hause und berichte, dass wir heute in einem ehemaligen Kuhstall in einem baufälligen, über vierhundert Jahre alten Haus schlafen werden, das jeden Moment einzustürzen droht.

 

Der Regen hat etwas nachgelassen und Angi schlägt vor, ein wenig durch das Geisterdorf zu gehen, das laut meinen Recherchen exakt 35 Einwohner zählt. Ich finde dass es hier sowieso stinklangweilig ist und willige daher ein.

 

Als wir von unserem Spaziergang zurückkommen, trauen wir unseren Augen kaum. Vor unserer Herberge steht Roland, der Entertainer, bei seinem Auto und entlädt gerade Geschirr.

 

Angi zieht die Stirn in Falten und flüstert: „O nein, nicht der schon wieder! Was macht er denn hier?“ „Keine Ahnung,“ antworte ich verwundert. Wie es sich für wohlerzogene Mädchen gehört, begrüßen wir ihn und fragen ihn, was er hier macht. „Ach, die beiden jungen Herbergsleute sind gerade dabei, sich das alles neu aufzubauen. Das ist doch selbstverständlich, dass man sich unter Freunden hilft. Tija, so bin ich halt. Jeden Tag eine gute Tat.“ Und zu mir gewandt: „Auch, wenn du das nicht glaubst.“ - Ich glaube es wirklich nicht. - Später erzählt Lorietta meiner Schwester, dass sie auf das olle Gerümpel von Roland nicht scharf sei. Im Gegenteil, es wäre ihr eher peinlich, aber aus Anstand sage sie halt nichts. Roland sei ein Wichtigtuer, der schon alles Mögliche in seinem Leben angefangen und nichts zu Ende gebracht hätte und befreundet seien sie und ihr Lebensgefährte schon gar nicht mit ihm. – Das überraschte mich nicht.

 

 

 

Später zog Roland sich noch ein paar Gläschen Wein bei uns in der guten Stube rein und legte sich mit zwei alten grantigen Luxemburgern an, die sich nichts gefallen ließen und ihm Saures gaben. Die beiden waren zwar zwei unsympathische, arrogante Typen, aber das mit Roland fanden wir alle super. Kurz darauf verzog sich der alte Knochen endlich.

 

 

 

In der Hoffnung, die Zeit bis zum Abendessen möge dann schneller vergehen; biete ich Lorietta an, ihr später beim Kochen zu helfen. Außerdem, fand ich, war es ja wirklich allerhand, dass sie alleine für die ganze Bande kochen musste. Ihr Angetrauter hatte sich bei Zeiten verflüchtigt und sein Sohn war langfristig damit beschäftigt, uns bei einem Gläschen Wein Geistergeschichten über seine abgefahrenen Träume aufzutischen. Die beiden griesgrämigen Knacker aus Luxemburg gähnten gelangweilt. Der eine ließ etwas vom Stappel wie, „normaler Weise rede ich mit Deutschen ja gar nicht erst.“ und meinte wohl das Gespräch mit Roland. Gleichzeitig sah er dabei Angi und mich von der Seite an. Die zwei alten Grantler gingen mir doch am Arsch vorbei. So etwas Arrogantes!

 

Ich lachte zu Jesus hinüber und nahm den Faden wieder auf: „Na da hoffen wir mal alle, dass du uns heute Nacht nicht erscheinst, wenn du immer solche Sachen träumst und Nachts aus deinem Körper entweichst und an der Decke schwebst!“ Allgemeines Gelächter.

 

Die kleine Koreanerin hatte sich inzwischen auch zu uns gesellt und sich noch einmal vielmals für das Ausleihen meines Fönes bedankt. Auch sie erinnerte sich inzwischen an unsere flüchtige Begegnung gestern. Wir erzählten uns dieses und jenes und aus irgend einem Grund, der mir heute nicht mehr einfällt, schlug sie vor, Angi den Rücken zu massieren. „Die kann das echt gut!“ meinte meine Schwester und gurrte genießerisch. Jing schlug vor, auch meinen Rücken zu massieren. Im ersten Augenblick dachte ich, sie wolle mir das Kreuz brechen. Ich schrie kurz auf und meinte, das würde jetzt schon genug sein. Aber sie nahm meine kalten Hände in ihre und knetete sie, bis sie wieder warm waren. Wirklich rührend.

 

Danach half ich Lorietta in der Küche und machte den Salat. Sie kochte derweilen spanische Gemüsesuppe mit Kartoffeln und Bohnen. Ich musste an das Massenlager heute Nacht denken und an die Wirkung der Bohnen. Wahrscheinlich würde es heute hier wirklich noch wie im Kuhstall riechen! Zur Suppe gab es eine große Schüssel mit Reis. Das war’s.

 

Die Kanadierin und die Amerikanerin waren so begeistert von dem spartanischen Essen und überschlugen sich schier vor Lob an die Köchin, dass ich mich ernsthaft fragte, welchen Fraß die sonst zu sich nahmen.

 

Nach dem Essen machten wir uns auf in die Kammer des Schreckens. Wie erwartet, wachte ich Nachts auf, weil ich for. Das Pupskonzert hatte zum Glück, wider Erwarten, nicht stattgefunden. Jedoch schmerzten meine beiden Beine vom Kleinen Zeh hinauf bis zu den Hüften. Ich kannte diesen ziehenden Schmerz nur allzu gut . Unter meinem Bett musste sich zu allem Glück auch noch eine Wasserader befinden. Die Symptome waren bei mir immer dieselben: ziehende Schmerzen, manchmal durch den ganzen Körper, als ob ich Rheuma hätte.

 

Ich quälte mich also durch die Nacht. Als der Morgen graute, verschwanden die beiden Luxemburger zuerst. Der Amerikanerin hatte die Suppe mit den angebrannten Kartoffeln vom Vortag so gut geschmeckt, dass sie zum Frühstück gleich noch einen Teller voll verspeiste. Die musste seit Tagen nichts mehr zwischen die Zähne gekriegt haben!

 

Ich massierte gerade meine schmerzenden Beine als meine Schwester fragte: „Und, hast du auch so gut geschlafen? So gut habe ich überhaupt noch nie geschlafen.“ „Unter meinem Bett war wohl eine Wasserader, mir tut alles weh und ich habe die halbe Nacht gefroren.“ gab ich zur Antwort und konnte mir denken, was Angi nun durch den Kopf ging. Sie zog die Augenbrauen in die Höhe und schüttelte ungläubig den Kopf. Da sie bereits geschniegelt und gestriegelt war, gesellte sie sich zu Lorietta und den anderen in die Küche. Als ich später auch dazustieß, meinte sie ganz erstaunt: „Lorietta meint, dass es stimmt, was du gesagt hast und dass durch die ganze Bettreihe eine Wasserader verläuft. Sie haben das Haus vor dem Kauf von jemanden auf Wasseradern prüfen lassen. Dass du so etwas merkst? Also ich habe wunderbar geschlafen.“

 

 

 

 

 

So, und weil es jetzt mit der Schreiberei genug ist und ich keine Lust mehr habe, höre ich an dieser Stelle auf. Es gibt einfach Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir mit dem Verstand nicht fassen können und die meiner Meinung nach irgendwie mit unseren Urinstinkten, mit unserer inneren Stimme zu tun haben, die wir in der heutigen, hektischen Zeit leider oftmals überhören.

 

 

 

Meine Schwester hat mir übrigens 3 Tage nach unserer Rückkehr geschrieben, dass ich ihr versprechen muss, dass wir in 2 Jahren wieder auf dem Camino wandern gehen ...

 

 

 

 

 

18. Juli 2007

 


Mein Camino 2018 von Oviedo nach Lugo

 

 

 

1.     Tag

 

Heute ist der 9.4. und ich starte meinen Camino Primitivo. Mit dem Zug nach Freiburg und mit dem Flughafenbus nach Basel. Mein Flieger startet da schon Sommerflugzeiten sind erst um 13.15 Uhr. Leider hat das Flugzeug aus Madrid schon Verspätung und so sieht es gar nicht gut aus für den Bus, den ich in Madrid nach Oviedo gebucht habe.

 

Ich habe mich im Pilgerforum mit Elisabeth verabredet. Sie möchte auch den Primitivo laufen, scheut sich aber, ihn alleine zu gehen. Um diese Zeit vermuten wir noch nicht so viele Menschen auf dem Weg. Allerdings haben wir auch ausgemacht, wenn es nicht passt geht jeder seiner Wege.

 

In Madrid suche ich den Bus nach T4. Dort soll eigentlich mein Bus abfahren. Ich wage ist gar nicht auf die Uhr zu schauen. Nein, kein Stress. Ist der Bus weg ist es halt Schicksal. A ber ich habe Glück. Ich hechte in den Bus, die Tür geht zu und er fährt. Hätte ich nicht vorgebucht, keine Chance. Der nächste Bus wäre wohl erst morgen gefahren.

 

Elisabeth hat in Oviedo ein Hotel für uns gebucht. Ich komme erst kurz vor 24.00 Uhr an und habe, obwohl es nicht weit ist zum Hotel, keine Lust mehr zu laufen. Für fünf Euro lasse ich ein Taxi fahren.

 

Elisabeth wartet schon und wir schlafen bald, morgen ist ein anstrengender Tag.

 

1.       2. Tag  Oviedo nach Grado 24 km

 

Wir frühstücken im Hotel Tostadas und Cafe con leche und dann geht es hinaus, in den trüben Tag. Ja leider ist das Wetter nicht so toll. Es nieselt und ist nicht so warm. Wir irren ein bisschen um die Kathedrale herum bis wir erste Pfeile finden. Sie führen uns hoch über die Stadt. Elisabeth zweifelt ein bisschen was die Richtung angeht. Und tatsächlich, als wir hoch über der Stadt sind, erklärt uns ein Mann, dass dies der Weg zum Camino del Northe ist. Na super. Haben wir schon mal ein paar km extra hingelegt. Wir legen uns auf eine Richtung fest und versuchen, ohne wieder in die Stadt hinunter zu laufen, zum anderen Weg zu kommen. Und tatsächlich, irgendwann haben wir es geschafft. Die Sonne scheint und es geht ziemliche Steigungen hinaus. Doch es ist schön hier. Tolle Aussichten. Leider sind auf diesem Weg, nicht so viele Bars vorhanden. So sind wir froh als wir gegen Nachmittag ein hübsches Lokal sehen. Wir können sogar draußen sitzen. Wir stärken uns mit Radler, Kaffee und Bocadillos. Da wird es plötzlich rabennschwarz. Wir verziehen uns nach drinnen, bevor es richtig loslegt. Es hagelt und stürmt.

    So schnell wie es gekommen ist, ist das Unwetter verschwunden. Gegen 16.00 Uhr kommen wir an die öffentliche Herberge von Grado.  Ist warm und gemütlich. Der Herbergsvater ist ein  sehr leutseeliger Mann. So ein Alt- 68er. Spielt coole Musik in seiner Hütte.


3.       Tag von Grado nach Bodenaya

 

Heute morgen bin ich gegen 7.30 Uhr fertig. Leider ist meine Wandergefährtin noch nicht fertig. Sie liegt noch im Bett. Vielleicht klingt das jetzt egoistisch, aber ich will nicht immer warten. Immer schauen, was der andere macht. Dies ist die einzige Zeit die ich nur für mich habe. Zu Hause muss ich immer auf andere Rücksicht nehmen. So nehme ich mir nun die Freiheit zu gehen. Hier auf dem Weg sind ja doch einige andere. So braucht meine Bekannte diesen Weg nicht alleine gehen. Aber ich liebe es, alleine zu sein.

 

Auch heute ist das Wetter nicht berauschend. Schon wieder muss die Regenjacke ausgepackt werden. Und diese Schlammwege, ja Kuhwege. Man  watet echt in der Kuhscheiße. Ich hasse das. Man stelle sich vor: Vor dir ein Weg ca. 150 m lang, 1,5 m breit und voll mit Schlamm kniehoch. Du stehst davor und überlegst wie du ohne nasse Schuhe und dreckige Hosen, da durchkommst. Ich sag euch – geht nicht. Man müsste fliegen. So versuchst du halt dein Bestes.

 

Du suchst den Rand, ritzt dich am Stacheldraht, an Brombeerbüschen. Tauchst bis zum Knie im Schlamm, fluchst was das Zeug hält. Und du bist erleichtert, hast du es geschafft. Und durch den Wald siehst du eine geteerte Straße, die in die gleiche Richtung geht. Ich glaube, diese Schlammwege sind nur für Kühe und Pilger.

 

Ja und kaum hast du Zeit dich zu freuen, fängt der nächste Schlammweg an.

 

Ich treffe unterwegs Monika, die zu Hause gerade mal 40 km von mir entfernt wohnt. Sie möchte heute bis Bodenaya gehen, eine sehr spirituelle Herberge, geführt von David und seiner Frau. Außerdem sind hier unterwegs Marius aus der Slowakei, Harm aus Norddeutschland, Greg und David, ein Künstler aus den USA, Claudia aus Italien, und Janis ein Grieche. Dann noch die beiden Spanierinnen Idurme, die selbst eine Herberge auf dem Northe betreibt und ihre Freundin Irene mit einem jungen Mann.

 

Meiner Begleitung schreibe ich ein Whatsup. Ich erkläre, dass unser Rhythmus nicht der gleiche ist und ich es deswegen vorziehe alleine zu gehen.

 

Laufe also mit Monika bis Bodenaya. David und seine Frau reichen gleich mal warmen Tee zur Begrüßung und erklären, wir können uns alles nehmen hier in der Küche. Nach der Dusche fühlen wir uns gleich wieder besser. So langsam füllt sich die Herberge. Alle bekannten Gesichter kommen hier her. Wir sind hungrig.

 

 

 

Doch gegen 21.00 Uhr als wir essen wollen, kommen noch Nachzügler zur Herberge. Es wird 22. Uhr bevor wir essen. Unsere schmutzige Wäsche dürfen wir David und seiner Frau geben. Am nächsten Morgen liegt diese fein gefaltet und frisch gewaschen auf dem Tisch. Echt ein super Service. Dann gibt es für jeden noch ein Glas Cidre. Natürlich von oben ins Glas gegossen. Mit Gesang. Eine echt urige Herberge.

 

Nur mir persönlich ist es doch ein bisschen zu spirituell. Mit dieser Fragerei am Tisch, habe ich es nicht so. Spät wird es bis wir ins Bett kommen.